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Hans Frhr. von Campenhausen
nach diesem wunderbaren Erlebnis dem eindeutigen Befehl des Engels
nicht gehorsam gewesen. Der klar und nachdrücklich formulierte Auftrag
kommt also, muß man folgern, überhaupt nicht ans Ziel, und es bleibt
unklar, wie die Jünger dann überhaupt noch nach Galiläa gelangt sind,
wo ihnen Christus erscheinen soll. Trotzdem wird das völlige Schweigen
der Frauen so nachdrücklich begründet und hervorgehoben, daß man es
keineswegs überhören kann91. Der Erzähler ist hieran interessiert, er will
damit etwas Besonderes sagen; hier meldet sich unverkennbar eine gewisse
Absicht, es erscheint eine auf den ersten Blick einigermaßen rätselhafte
Tendenz.
Diese Tendenz kann sich darin nicht erschöpfen, daß sie nur den „nu-
minosen Schauer“ hervorheben möchte, der von dem leeren Grab und den
Worten des Engels ausging92. Eine so romantisch-moderne Auslegung der
letzten Worte reicht gewiß nicht zu. An unserer Stelle muß etwas Kon-
kreteres gemeint sein. Und so hat die kritische Auslegung zu einer tra-
ditionsgeschichtlichen Erklärung gegriffen, die zuerst wohl bei Wellhausen
auftaucht und seitdem mit mancherlei Variationen im Grunde doch gleich-
lautend vorgetragen wird. Mit diesem letzten Verse, sagt man, soll das
verspätete Auftauchen der Grabesgeschichte gewissermaßen entschuldigt
werden; er soll es verständlich machen, „daß dieser Auferstehungsbericht
der Frauen erst nachträglich bekannt wurde“93. Das heißt: hier wird es
also deutlich, daß es sich bei der ganzen Überlieferung vom leeren Grabe
um eine späte und nachträgliche Legende handelt und daß der Bericht-
erstatter dies selbst noch ahnt oder weiß, indem er sich gegen alle Be-
denken hinsichtlich seiner willkommenen, aber doch überraschenden Nach-
richt im voraus zu decken sucht. Das Grab war wirklich leer, diese Tatsache
ist damit erwiesen, und wenn sie bisher noch nicht bekannt gewesen ist,
so liegt dies eben daran, daß die Frauen geschwiegen haben. Das ist zwar
angesichts des himmlischen Befehls eine reichlich plumpe und störende
Auskunft, und auch sonst ergeben sich für unser Gefühl sofort eine Reihe
von Unstimmigkeiten; aber gerade bei einer apologetischen Abzweckung
91 Das würde auch dann nodr in einem freilich abgeschwächten Sinne bestehen
bleiben, wenn man den Vers mit Thiel S. 204f. und E. Hirsch, Frühgeschichte
des Evangeliums (1941) 178 auf zwei Quellen verteilen wollte.
92 So besonders 0. Linton, Der vermißte Markusschluß, Theol. Bl. 8 (1929) 229ff.
Die Betonung von Furcht und Schredcen angesichts einer himmlischen Erschei-
nung und das korrespondierende „Fürchtet euch nicht!“ hat Mk. 16, 5f. durch-
aus typischen Charakter, und auch 16, 8 ist zunächst noch von hier aus zu ver-
stehen. Man darf nicht mit F. Scheidweiler, Das Schweigen der Frauen (Mar-
cus 16, 8) und das Osterwunder, Die Pforte 6 (1954/55) 152ff., an eine Grab-
schändung oder sonst an einen besonderen Anlaß denken, der die Furcht er-
klären könnte. Auch würde der Evangelist den Nachklang solcher Dinge ge-
wiß nicht in dieser Weise konserviert haben.
93 J. Wellhausen, Das Evangelium Marci (19022) 136.
Hans Frhr. von Campenhausen
nach diesem wunderbaren Erlebnis dem eindeutigen Befehl des Engels
nicht gehorsam gewesen. Der klar und nachdrücklich formulierte Auftrag
kommt also, muß man folgern, überhaupt nicht ans Ziel, und es bleibt
unklar, wie die Jünger dann überhaupt noch nach Galiläa gelangt sind,
wo ihnen Christus erscheinen soll. Trotzdem wird das völlige Schweigen
der Frauen so nachdrücklich begründet und hervorgehoben, daß man es
keineswegs überhören kann91. Der Erzähler ist hieran interessiert, er will
damit etwas Besonderes sagen; hier meldet sich unverkennbar eine gewisse
Absicht, es erscheint eine auf den ersten Blick einigermaßen rätselhafte
Tendenz.
Diese Tendenz kann sich darin nicht erschöpfen, daß sie nur den „nu-
minosen Schauer“ hervorheben möchte, der von dem leeren Grab und den
Worten des Engels ausging92. Eine so romantisch-moderne Auslegung der
letzten Worte reicht gewiß nicht zu. An unserer Stelle muß etwas Kon-
kreteres gemeint sein. Und so hat die kritische Auslegung zu einer tra-
ditionsgeschichtlichen Erklärung gegriffen, die zuerst wohl bei Wellhausen
auftaucht und seitdem mit mancherlei Variationen im Grunde doch gleich-
lautend vorgetragen wird. Mit diesem letzten Verse, sagt man, soll das
verspätete Auftauchen der Grabesgeschichte gewissermaßen entschuldigt
werden; er soll es verständlich machen, „daß dieser Auferstehungsbericht
der Frauen erst nachträglich bekannt wurde“93. Das heißt: hier wird es
also deutlich, daß es sich bei der ganzen Überlieferung vom leeren Grabe
um eine späte und nachträgliche Legende handelt und daß der Bericht-
erstatter dies selbst noch ahnt oder weiß, indem er sich gegen alle Be-
denken hinsichtlich seiner willkommenen, aber doch überraschenden Nach-
richt im voraus zu decken sucht. Das Grab war wirklich leer, diese Tatsache
ist damit erwiesen, und wenn sie bisher noch nicht bekannt gewesen ist,
so liegt dies eben daran, daß die Frauen geschwiegen haben. Das ist zwar
angesichts des himmlischen Befehls eine reichlich plumpe und störende
Auskunft, und auch sonst ergeben sich für unser Gefühl sofort eine Reihe
von Unstimmigkeiten; aber gerade bei einer apologetischen Abzweckung
91 Das würde auch dann nodr in einem freilich abgeschwächten Sinne bestehen
bleiben, wenn man den Vers mit Thiel S. 204f. und E. Hirsch, Frühgeschichte
des Evangeliums (1941) 178 auf zwei Quellen verteilen wollte.
92 So besonders 0. Linton, Der vermißte Markusschluß, Theol. Bl. 8 (1929) 229ff.
Die Betonung von Furcht und Schredcen angesichts einer himmlischen Erschei-
nung und das korrespondierende „Fürchtet euch nicht!“ hat Mk. 16, 5f. durch-
aus typischen Charakter, und auch 16, 8 ist zunächst noch von hier aus zu ver-
stehen. Man darf nicht mit F. Scheidweiler, Das Schweigen der Frauen (Mar-
cus 16, 8) und das Osterwunder, Die Pforte 6 (1954/55) 152ff., an eine Grab-
schändung oder sonst an einen besonderen Anlaß denken, der die Furcht er-
klären könnte. Auch würde der Evangelist den Nachklang solcher Dinge ge-
wiß nicht in dieser Weise konserviert haben.
93 J. Wellhausen, Das Evangelium Marci (19022) 136.