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Campenhausen, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1958, 2. Abhandlung): Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab — Heidelberg, 1958

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https://doi.org/10.11588/diglit.42457#0029
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Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab

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kann man das seltsame Verhalten der Frauen in Kauf nehmen. „Über
die Frage, wie bei ihrem Schweigen der Verfasser etwas davon hat er-
fahren können, werden sich die gläubigen Leser nicht weiter den Kopf zer-
brochen haben“94.
Diese Deutung ist heute, wie gesagt, noch weit verbreitet95. Aber ich
glaube nicht, daß sie sich halten läßt. Schon die ungeschickt-raffinierte
Absicht, mit der ihr zufolge der fragliche Satz formuliert wäre, läßt sich
wohl irgendeinem mittelalterlichen Legendenfabrikator Zutrauen, wäre
aber innerhalb der alten evangelischen Überlieferung völlig ohne Beispiel.
Man könnte innerhalb des Neuen Testaments höchstens auf den Zweiten
Petrusbrief als Parallele hinweisen, die aber doch andersartig ist und
aus dem späteren zweiten Jahrhundert stammt. Hinzu kommt, daß die
Erzählung auch so noch das, was sie angeblich leisten soll, in Wirklichkeit
gar nicht leistet. Man kann den Text im Sinne jedes naiven Lesers und
somit auch des Verfassers schwerlich anders verstehen, als daß die Frauen
zunächst geschwiegen hätten, so daß die folgenden Geschehnisse also ohne
ihr Zutun und ohne Rücksicht auf das leere Grab in Gang kamen96. Das
kann Tage, vielleicht Wochen gedauert haben; aber spätestens das Be-
kanntwerden der galiläischen Erscheinungen und die Entstehung der glau-
benden Gemeinde muß ihnen dann doch die Zunge gelöst haben. Ein um
Jahre oder gar Jahrzehnte verspätetes Auftauchen der Erzählung kann
auf diesem Wege unmöglich erklärt werden97. Von hier aus läßt sich also

94 Ed. Meyer I, 18. Dibelius, Formgeschichte S. 190f. hat die Erklärung inso-
fern feiner und vorsichtiger gestaltet, als er annimmt, eine ältere, tendenzfrei
gewachsene Legende sei der apologetischen Absicht erst nachträglich dienstbar
gemacht worden. Doch für das Verständnis des entscheidenden Verses 16, 8
ist damit nichts geändert.
95 So haben sie V. Taylor, The Life and Ministry of Jesus (1955) 223; Grass
S. 22f. und G. Bornkamm, Jesus von Nazareth (19572) 167ferneut vertreten,
ohne auf meine Bedenken einzugehen.
96 Diese Voraussetzung wird von Lukas in einem vergleichbaren Zusammenhang
ausdrücklich hervorgehoben: die Jünger schweigen über die bei der Verklärung
erschauten Dinge ev excfvoug tcüg ppepaig, d. h. hier bis nach der Auferstehung
und bis zur endgültigen Verklärung des Herrn (Lk. 9, 36).
97 W. Baldensperger, Urchristliche Apologie. Die älteste Auferstehungskontro-
verse (1909) 36, hat dies mit Recht betont. Seine eigene Deutung, V. 16, 8 solle
„das ganz unglaubliche Ausbleiben der Jünger am Ostermorgen“ erklären,
entspringt freilich auch modernem Empfinden und hat am Text kaum einen
Anhalt. So ist auch er in seinem späteren Werk, Le tombeau vide. La legende
et l’histoire (Paris 1935) 46ff., dazu übergegangen, ähnlich wie schon vor ihm
die Brüder Holtzmann (u. Anm. 137) und jetzt wieder C. Stange, Kreuz
und Auferstehung, Zeitschr. syst. Theol. 24 (1955 S. 379ff.) 385fL, die ver-
meintliche Legende für im Kerne historisch zu erklären: die Frauen wußten
nicht, daß Joseph von Arimathia den zunächst von den Soldaten ohne jede
Sorgfalt entfernten Leichnam bei Nacht heimlich in sein eigenes Grab über-
führt hatte.
 
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