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Hans Frhr. von Campenhausen
Leichnam fortschaffen will, packt ihn erst sorgsam aus, um ihn nackt da-
vonzutragen125. Diese Nachricht liegt also auf derselben Linie, die dann
im Hebräerevangelium bis ins Läppische übersteigert wird.
Aber Johannes begnügt sich nicht nur mit solchen Andeutungen. Er
hat die Ostergeschichten mit großer Freiheit neu gestaltet und kümmert
sich dabei nur selten um ältere Traditionen; aber auf den Verdacht des
Leichenraubs kommt er gleichfalls in unüberhörbarer Weise zu sprechen
und widerlegt ihn dann um so wirksamer. Als Maria Magdalena am frü-
hen Ostermorgen das Grab leer findet, ist dies ihr erster Gedanke: „Man
hat den Herrn aus dem Grabmal entfernt, und wir wissen nicht, wo man
ihn hingetan hat“126. Sie wiederholt diese Klage, als sie der beiden Engel
in lichten Gewändern gewahr wird, die zu Häupten und zu Füßen der
Grabstätte Platz genommen haben127. Und endlich wird sie noch ein drittes
Mal vorgebracht, als Jesus selber schon vor ihr steht, den sie jedoch für den
Gärtner hält, der, wie sie meint, am ehesten den Leib entfernt haben kann:
„Herr, wenn du ihn fortgeschafft hast, so sag mir, wo du ihn hingetan hast
— ich will ihn holen!“128
Es ist erstaunlich, wie wenig man die offenkundige aktuelle Beziehung,
die hier vorliegt, beachtet hat. Die Geschichte ist so, wie sie Johannes bietet,
die unmittelbare Antwort auf jüdische Anklagen und die dadurch geweck-
ten Zweifel. Insbesondere die Gestalt des Gärtners und der Verdacht, er
könnte den Leib Jesu beiseitegeschafft haben, stammen von hier. Der Gärt-
ner ist eine durch die Überlieferung vorgegebene Figur, und die Frage,
woran ihn Maria Magdalena als solchen erkannt habe, ist darum fehl am
Platz. Die spätere jüdische Polemik kennt verschiedene Berichte darüber,
wie der Leichnam Jesu in Wirklichkeit abhanden gekommen sei. Aber
die weitaus häufigste Form ist die, daß „Juda der Gärtner“ als redlicher
Mann den drohenden Schwindel vorausgesehen und darum den Leichnam
beiseitegebracht habe. Als die Jünger dann mit ihrem Auferstehungs-
märchen herausrückten und die Juden bereits in die größte Verlegenheit
kamen, war er es, der den verschwundenen Leib wieder zur Stelle schaf-
fen konnte. Dieser wird dann öffentlich durch die Straßen Jerusalems ge-
schleift, und die christliche Lüge wird jedermann offenbar1?9. Auf die wech-
selnden Einzelheiten, mit denen dies alles erzählt wird, kommt es jetzt
125 Vgl. hierzu auch das koptische Evangelium der zwölf Apostel, frg. 15 bei
Graffin et Nau, Patr. or. II, 2 (1907) 172: Pilate dit: 0 hommes, qui detestez
votre propre vie, si on avait pris le corps, (on aurait pris) les bandelettes
aussi . . .
128 Joh. 20, 2.
127 Joh. 20, 13. Die redaktionellen Probleme dieses Kapitels brauchen wir nicht
zu erörtern.
128 Joh. 20, 15.
120 S. Krauss, Das Leben Jesu nach jüdischen Quellen (1902), besonders S. 170ff.;
vgl. S. 59. 107ff. 126f.
Hans Frhr. von Campenhausen
Leichnam fortschaffen will, packt ihn erst sorgsam aus, um ihn nackt da-
vonzutragen125. Diese Nachricht liegt also auf derselben Linie, die dann
im Hebräerevangelium bis ins Läppische übersteigert wird.
Aber Johannes begnügt sich nicht nur mit solchen Andeutungen. Er
hat die Ostergeschichten mit großer Freiheit neu gestaltet und kümmert
sich dabei nur selten um ältere Traditionen; aber auf den Verdacht des
Leichenraubs kommt er gleichfalls in unüberhörbarer Weise zu sprechen
und widerlegt ihn dann um so wirksamer. Als Maria Magdalena am frü-
hen Ostermorgen das Grab leer findet, ist dies ihr erster Gedanke: „Man
hat den Herrn aus dem Grabmal entfernt, und wir wissen nicht, wo man
ihn hingetan hat“126. Sie wiederholt diese Klage, als sie der beiden Engel
in lichten Gewändern gewahr wird, die zu Häupten und zu Füßen der
Grabstätte Platz genommen haben127. Und endlich wird sie noch ein drittes
Mal vorgebracht, als Jesus selber schon vor ihr steht, den sie jedoch für den
Gärtner hält, der, wie sie meint, am ehesten den Leib entfernt haben kann:
„Herr, wenn du ihn fortgeschafft hast, so sag mir, wo du ihn hingetan hast
— ich will ihn holen!“128
Es ist erstaunlich, wie wenig man die offenkundige aktuelle Beziehung,
die hier vorliegt, beachtet hat. Die Geschichte ist so, wie sie Johannes bietet,
die unmittelbare Antwort auf jüdische Anklagen und die dadurch geweck-
ten Zweifel. Insbesondere die Gestalt des Gärtners und der Verdacht, er
könnte den Leib Jesu beiseitegeschafft haben, stammen von hier. Der Gärt-
ner ist eine durch die Überlieferung vorgegebene Figur, und die Frage,
woran ihn Maria Magdalena als solchen erkannt habe, ist darum fehl am
Platz. Die spätere jüdische Polemik kennt verschiedene Berichte darüber,
wie der Leichnam Jesu in Wirklichkeit abhanden gekommen sei. Aber
die weitaus häufigste Form ist die, daß „Juda der Gärtner“ als redlicher
Mann den drohenden Schwindel vorausgesehen und darum den Leichnam
beiseitegebracht habe. Als die Jünger dann mit ihrem Auferstehungs-
märchen herausrückten und die Juden bereits in die größte Verlegenheit
kamen, war er es, der den verschwundenen Leib wieder zur Stelle schaf-
fen konnte. Dieser wird dann öffentlich durch die Straßen Jerusalems ge-
schleift, und die christliche Lüge wird jedermann offenbar1?9. Auf die wech-
selnden Einzelheiten, mit denen dies alles erzählt wird, kommt es jetzt
125 Vgl. hierzu auch das koptische Evangelium der zwölf Apostel, frg. 15 bei
Graffin et Nau, Patr. or. II, 2 (1907) 172: Pilate dit: 0 hommes, qui detestez
votre propre vie, si on avait pris le corps, (on aurait pris) les bandelettes
aussi . . .
128 Joh. 20, 2.
127 Joh. 20, 13. Die redaktionellen Probleme dieses Kapitels brauchen wir nicht
zu erörtern.
128 Joh. 20, 15.
120 S. Krauss, Das Leben Jesu nach jüdischen Quellen (1902), besonders S. 170ff.;
vgl. S. 59. 107ff. 126f.