Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab
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sie ist nicht — wie der WELLHAUSENSche Versuch — auf einen völlig frei
konstruierten Zusammenhang bezogen. Man mag darüber hinaus auch dar-
auf hinweisen, daß mit dem Schweigen der Frauen nicht nur das leere
Grab von den Jüngern geschieden, sondern auch die Selbständigkeit dieser
Jünger geschützt wird: sie sind mit ihren späteren Ostererfahrungen ur-
sprüngliche Zeugen der Auferstehung, in keiner Weise durch die Frauen
schon vorbereitet und in das zweite Glied gedrängt148. Das sind dann ge-
wissermaßen nur zwei Seiten eines einzigen Motivs, das das eine Mal im
Blick auf die Probleme des leeren Grabs, das andere Mal mehr im Blick auf
die Würde der Jünger entwickelt wäre149. Doch wird dieser zweite Gesichts-
punkt in den Quellen selbst nirgends deutlich erkennbar; ich möchte ihn
daher meinerseits nicht in den Vordergrund schieben.
Im übrigen hat bezeichnenderweise kein einziger der späteren Evange-
listen die von Markus gewählte Gewaltlösung beibehalten wollen150, d. h.
sie rechnen damit, daß die Frauen ihren Auftrag an die Jünger auch
ausgerichtet haben151. Gegen das Judentum schlägt die Apologetik andere
Wege ein, um die Möglichkeit eines Betruges oder einer ungewollten
Täuschung auszuschließen. Den weiteren Gedanken, daß die Entdeckung
des Grabes für den Osterglauben nicht ausgereicht habe und als solche
noch nicht entscheidend gewesen sei, haben sie jedoch bewahrt. Er wird
jetzt mit der typischen, zunehmenden Verdeutlichung und Vergröberung
der zugrunde liegenden Absicht immer stärker herausgearbeitet. Bei Mat-
thäus bleibt es noch unklar, wie der Bericht der Frauen die Jünger über-
haupt erreicht hat und wie sie ihn aufgenommen haben152. Lukas dagegen
erklärt ausdrücklich, daß sie ihn zunächst als leeres Geschwätz beurteilt
hätten153; die Nachricht weckte wohl eine gewisse Unruhe, aber noch keinen
148 So Brun S. 11; Nikolainen II, 65 und Riesenfeld S. 285f.
149 So verbindet Grundmann S. 372 beide Erklärungen. Dagegen erscheint es mir
nicht glücklich, wenn Grass S. 22 die Deutung der nordischen Theologen (o.
Anm. 148) mit Wellhausens Hypothese zu kombinieren sucht; denn dabei
handelt es sich um zwei gänzlich verschiedene Anliegen, und man muß sich
entscheiden, welches gelten soll.
150 S. o. Anm. 147. Mit einer gänzlich anderen Lösung versucht es das Petrusevan-
gelium. Es läßt den Auftrag des Engels 13, 56 überhaupt weg und läßt die Jün-
ger 14, 58f. ahnungslos, enttäuscht und niedergeschlagen wieder an ihre Arbeit
gehen. Aber die ausdrückliche Feststellung, daß die Frauen geschwiegen hät-
ten, ist auch hier in Fortfall gekommen.
151 Man kann also keinesfalls mit K. Barth, Die kirchliche Dogmatik IV, 2 (1955)
164 sagen, es handle sich hier wieder um einen „von den Widersprüchen der
Überlieferung, die zu beseitigen offenbar niemand für nötig gehalten hat!“
152 Sie begeben sich zum Berge in Galiläa auf Grund einer früheren, im Evan-
gelium selbst aber nicht erzählten Weisung Jesu: Mt. 28, 16. Auch das un-
erklärte und vor allem nicht klar überwundene Zweifelsmotiv von Mt. 28, 17
macht den Eindruck eines versprengten Überrestes der voraufliegenden und
von Matthäus unterdrückten Überlieferung; vgl. o. Anm. 98.
153 Lk. 24, 11.
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sie ist nicht — wie der WELLHAUSENSche Versuch — auf einen völlig frei
konstruierten Zusammenhang bezogen. Man mag darüber hinaus auch dar-
auf hinweisen, daß mit dem Schweigen der Frauen nicht nur das leere
Grab von den Jüngern geschieden, sondern auch die Selbständigkeit dieser
Jünger geschützt wird: sie sind mit ihren späteren Ostererfahrungen ur-
sprüngliche Zeugen der Auferstehung, in keiner Weise durch die Frauen
schon vorbereitet und in das zweite Glied gedrängt148. Das sind dann ge-
wissermaßen nur zwei Seiten eines einzigen Motivs, das das eine Mal im
Blick auf die Probleme des leeren Grabs, das andere Mal mehr im Blick auf
die Würde der Jünger entwickelt wäre149. Doch wird dieser zweite Gesichts-
punkt in den Quellen selbst nirgends deutlich erkennbar; ich möchte ihn
daher meinerseits nicht in den Vordergrund schieben.
Im übrigen hat bezeichnenderweise kein einziger der späteren Evange-
listen die von Markus gewählte Gewaltlösung beibehalten wollen150, d. h.
sie rechnen damit, daß die Frauen ihren Auftrag an die Jünger auch
ausgerichtet haben151. Gegen das Judentum schlägt die Apologetik andere
Wege ein, um die Möglichkeit eines Betruges oder einer ungewollten
Täuschung auszuschließen. Den weiteren Gedanken, daß die Entdeckung
des Grabes für den Osterglauben nicht ausgereicht habe und als solche
noch nicht entscheidend gewesen sei, haben sie jedoch bewahrt. Er wird
jetzt mit der typischen, zunehmenden Verdeutlichung und Vergröberung
der zugrunde liegenden Absicht immer stärker herausgearbeitet. Bei Mat-
thäus bleibt es noch unklar, wie der Bericht der Frauen die Jünger über-
haupt erreicht hat und wie sie ihn aufgenommen haben152. Lukas dagegen
erklärt ausdrücklich, daß sie ihn zunächst als leeres Geschwätz beurteilt
hätten153; die Nachricht weckte wohl eine gewisse Unruhe, aber noch keinen
148 So Brun S. 11; Nikolainen II, 65 und Riesenfeld S. 285f.
149 So verbindet Grundmann S. 372 beide Erklärungen. Dagegen erscheint es mir
nicht glücklich, wenn Grass S. 22 die Deutung der nordischen Theologen (o.
Anm. 148) mit Wellhausens Hypothese zu kombinieren sucht; denn dabei
handelt es sich um zwei gänzlich verschiedene Anliegen, und man muß sich
entscheiden, welches gelten soll.
150 S. o. Anm. 147. Mit einer gänzlich anderen Lösung versucht es das Petrusevan-
gelium. Es läßt den Auftrag des Engels 13, 56 überhaupt weg und läßt die Jün-
ger 14, 58f. ahnungslos, enttäuscht und niedergeschlagen wieder an ihre Arbeit
gehen. Aber die ausdrückliche Feststellung, daß die Frauen geschwiegen hät-
ten, ist auch hier in Fortfall gekommen.
151 Man kann also keinesfalls mit K. Barth, Die kirchliche Dogmatik IV, 2 (1955)
164 sagen, es handle sich hier wieder um einen „von den Widersprüchen der
Überlieferung, die zu beseitigen offenbar niemand für nötig gehalten hat!“
152 Sie begeben sich zum Berge in Galiläa auf Grund einer früheren, im Evan-
gelium selbst aber nicht erzählten Weisung Jesu: Mt. 28, 16. Auch das un-
erklärte und vor allem nicht klar überwundene Zweifelsmotiv von Mt. 28, 17
macht den Eindruck eines versprengten Überrestes der voraufliegenden und
von Matthäus unterdrückten Überlieferung; vgl. o. Anm. 98.
153 Lk. 24, 11.