Logische Studien zur Gesetzesanwendung
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Indem das konkrete juristische Sollensurteil — als dessen vor-
nehmstes Beispiel immerhin das richterliche Erkenntnis (als Denk-
gebilde) gelten kann — Anspruch auf Wahrheit, auf Richtigkeit
erhebt, bedarf es der Begründung. Diese Begründung braucht
nicht unbedingt dem Gesetz entnommen zu werden. Als Quelle der
Rechtfertigung kann z. B. das Rechtsgefühl, das gesunde Volks-
empfinden benutzt werden, wobei immerhin zweifelhaft ist, wieweit
auf diese Weise Wahrheit verbürgt werden kann. Das Gesetz ist
die wichtigste Erkenntnisquelle für den Juristen der Neuzeit. Daran
möchte ich auch gegenwärtig festhalten^ wo man soviel zu hören
bekommt von der Überlegenheit des Rechts über das Gesetz. Ein
Zurücktreten des Gesetzes hinter dem Recht wird sich doch nur in
Ausnahmefällen bemerkbar machen. Im juristischen Alltag wird
das Gesetz das Urteilen beherrschen. Freilich das recht verstan-
dene, zeit- und sinngemäß interpretierte, erweiterte und notfalls
auch gegen den Buchstaben richtiggestellte Gesetz. Mit den Me-
thoden der Gesetzesauslegung und -bearbeitung im Einzelnen will
ich mich aber an dieser Stelle nicht befassen. Gegenstand der
folgenden Untersuchung soll vielmehr die logische Struktur der
Gesetzesanwendung auf den einzelnen Fall mit dem Ziel der Ge-
winnung eines begründeten juristischen konkreten Sollensurteils
sein. Eine derartige Betrachtung ist weniger zeitgebunden, als es
die Fragen der Methodik des Gesetzesverständnisses zu sein pflegen.
Doch würde ich um deswillen noch nicht einräumen, daß unserer
Erörterung jede Aktualität fehlt. Ich bin vielmehr der Über-
zeugung — ohne dies hier näher darlegen zu wollen — daß man
immer wieder und auch heute auf Analysen wie die hier vorgenom-
mene zurückgehen muß, wenn man die Probleme, die die jeweilige
Gegenwart bei der Handhabung der Gesetze mit Hinblick auf die
rechte Beurteilung des Einzelfalles aufwirft, gründlich lösen will.
So glaube ich -— um wenigstens zwei Beispiele zu geben — daß
solche polemischen Äußerungen wie die Freislers, daß „wir nicht
dazu da sind, formal im Vergleich eines im Leben vorgekommenen
mit einem im Gesetz abstrakt niedergelegten Tatbestand eine straf-
bare Handlung festzustellen“1 einer Besinnung auf das logische
Wesen der Gesetzesanwendung einfach nicht standhalten können,
und ich glaube weiter, daß die Erhellung der heute im Mittelpunkt
des strafrichterlichen Interesses stehenden Analogie ihren Ausgang
1 Deutsche Justiz 1940, S. 885 und dazu v. Gemmingen, Z. ges. Straf-
rechtswissensch. 62, 1943, S. 43ff. Vgl. unten S. 26.
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Indem das konkrete juristische Sollensurteil — als dessen vor-
nehmstes Beispiel immerhin das richterliche Erkenntnis (als Denk-
gebilde) gelten kann — Anspruch auf Wahrheit, auf Richtigkeit
erhebt, bedarf es der Begründung. Diese Begründung braucht
nicht unbedingt dem Gesetz entnommen zu werden. Als Quelle der
Rechtfertigung kann z. B. das Rechtsgefühl, das gesunde Volks-
empfinden benutzt werden, wobei immerhin zweifelhaft ist, wieweit
auf diese Weise Wahrheit verbürgt werden kann. Das Gesetz ist
die wichtigste Erkenntnisquelle für den Juristen der Neuzeit. Daran
möchte ich auch gegenwärtig festhalten^ wo man soviel zu hören
bekommt von der Überlegenheit des Rechts über das Gesetz. Ein
Zurücktreten des Gesetzes hinter dem Recht wird sich doch nur in
Ausnahmefällen bemerkbar machen. Im juristischen Alltag wird
das Gesetz das Urteilen beherrschen. Freilich das recht verstan-
dene, zeit- und sinngemäß interpretierte, erweiterte und notfalls
auch gegen den Buchstaben richtiggestellte Gesetz. Mit den Me-
thoden der Gesetzesauslegung und -bearbeitung im Einzelnen will
ich mich aber an dieser Stelle nicht befassen. Gegenstand der
folgenden Untersuchung soll vielmehr die logische Struktur der
Gesetzesanwendung auf den einzelnen Fall mit dem Ziel der Ge-
winnung eines begründeten juristischen konkreten Sollensurteils
sein. Eine derartige Betrachtung ist weniger zeitgebunden, als es
die Fragen der Methodik des Gesetzesverständnisses zu sein pflegen.
Doch würde ich um deswillen noch nicht einräumen, daß unserer
Erörterung jede Aktualität fehlt. Ich bin vielmehr der Über-
zeugung — ohne dies hier näher darlegen zu wollen — daß man
immer wieder und auch heute auf Analysen wie die hier vorgenom-
mene zurückgehen muß, wenn man die Probleme, die die jeweilige
Gegenwart bei der Handhabung der Gesetze mit Hinblick auf die
rechte Beurteilung des Einzelfalles aufwirft, gründlich lösen will.
So glaube ich -— um wenigstens zwei Beispiele zu geben — daß
solche polemischen Äußerungen wie die Freislers, daß „wir nicht
dazu da sind, formal im Vergleich eines im Leben vorgekommenen
mit einem im Gesetz abstrakt niedergelegten Tatbestand eine straf-
bare Handlung festzustellen“1 einer Besinnung auf das logische
Wesen der Gesetzesanwendung einfach nicht standhalten können,
und ich glaube weiter, daß die Erhellung der heute im Mittelpunkt
des strafrichterlichen Interesses stehenden Analogie ihren Ausgang
1 Deutsche Justiz 1940, S. 885 und dazu v. Gemmingen, Z. ges. Straf-
rechtswissensch. 62, 1943, S. 43ff. Vgl. unten S. 26.