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Engisch, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1960, 1. Abhandlung): Logische Studien zur Gesetzesanwendung — Heidelberg, 1960

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https://doi.org/10.11588/diglit.42461#0100
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Karl Engisch:

gefeuert hat und daß er dabei daran gedacht und in Kauf genom-
men hat, den X zu töten ? Durch die Mitteilung von Zeugen oder
durch festgestellte Indizien (etwa Äußerungen des A vor der Tat).
Woher wissen wir, daß A, indem er daran dachte, den X zu töten,
und dies in Kauf nahm, „vorsätzlich“ gehandelt hat ? Durch prü-
fenden Vergleich dieses konkreten Falles mit den vom gesetzlichen
Tatbestand zweifelsfrei gemeinten Fällen! Wie es scheint, können
wir also auch die Tatfrage ganz für sich ohne Heranziehung von
Vergleichsfällen lösen, während die Rechtsfrage eine Beziehung des
konkreten Falles zu anderen Fällen herstellt. Vielleicht möchte
man auch sagen: Gerade dieser letzte Unterschied läßt sich logisch
dadurch verdeutlichen, daß man die Tatfrage in Form eines modus
ponens, die Rechtsfrage in Form eines modus barbara in Erschei-
nung treten läßt, und zwar nach folgenden Mustern:
A) Falls X geschehen ist, so soll Y sein
X ist hier und jetzt geschehen
Also soll Y hier und jetzt, sein.
B) Für alle X soll Y gelten
Das hier und jetzt Geschehene ist ein X
Also soll für das hier und jetzt Geschehene Y gelten.
Beim Schlüsse A enthält der Untersatz deutlich ein reales Exi-
stenzialurteil, beim Schlüsse B vollzieht der Untersatz die Ein-
ordnung eines Falles in einen Kreis von Fällen, also eine Subsum-
tion. Das „ist“ hat deshalb auch im einen und im anderen Falle
eine verschiedene Bedeutung: im Schlüsse A bedeutet es reale Exi-
stenz, im Schlüsse B das bloße „Kopulasein“. Was aber diese so
schöne und bequeme Lösung sofort als fragwürdig erscheinen läßt,
ist die schon früher angestellte Erwägung, daß zum Gegenstand
eines realen Existenzialurteils nicht nur ein Dasein, sondern auch
ein Sosein gemacht werden kann und daß Dasein und Sosein keine
absoluten Gegensätze sind. Wir brauchen nur für das X unserer
Schlüsse einen bestimmten gesetzlichen Tatbestand einzusetzen,
um dessen gewahr zu werden: „Falls eine vorsätzliche Tötung ge-
schehen ist, so soll der Täter mit . . . bestraft werden; hier und
jetzt ist eine vorsätzliche Tötung geschehen . . . .“. Auch im modus
ponens enthält dann der Untersatz ersichtlich eine Gleichsetzung,
also eine Subsumtion. Ohne dies würde ja auch unsere ganze bis-
 
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