2.
Wo wie in unserem Fall der rhetorisch aufs feinste geschulte Autor
einen Hymnus stilisiert, darf es nicht verwundern, daß sich beide
Kategorien, die rednerische und die religiöse, gegenseitig ergänzen,
durchdringen und zu einem eindrucksvollen Ganzen verbinden. Wir
betrachten zunächst die Struktur des Hymnus1 cds Form religiöser
Rede.
An die Epiklese2 I schließt sich der eigentliche Hymnus II an, des-
sen ‘objektiver’ Teil3 A und G das Gebet B umschließt. Zunächst
folgt der Epiklese wie üblich4 die Aretalogie A 2, eingeleitet durch
einen vom rhetorischen Schema her bestimmten Fragesatz A 1, der
allerdings den für den Hymnenstil so wichtigen ανευ σοΰ-Topos ent-
hält, wie er sich auch sonst mit der Epiklese gern unmittelbar ver-
bindet5. Er ersetzt also gewissermaßen das was Eduard Norden6 die
„generalisierende Formel“ nennt, die sonst meist in einen Relativ-
satz gefaßt, auch mit sive-sive eingeleitet oder nach dem Typ ge-
bildet ist ‘wenn du früher geholfen hast, so hilf auch jetzt’ u. ä. Die
eigentliche Aretalogie mit ihrer Folge von ίζί-Anaphern und Fle-
xionsreimen hat wiederum Ed. Norden7 übersichtlich mit Beispielen
belegen können, ohne doch auf Ciceros Lobpreis der Philosophie
1 Dafür vgl. allgemein neben und vor Ed. Norden, Agn. Th. 149 ff. u. ö. auch R.
Wünsch, RE IX 1916, 140-183 (s. v. Hymnos), insbes. Sp. 144 f. Vgl. a. H.
Kleinknecht, Die Gebetsparodie in der Antike, 1937, S. 18 ff. - Zum Inhalt der
Epiklese (I) s. unt. S. 29 ff.
2 Die Bezeichnung 'Apostrophe’, deren sich 0. Weinreich 1922, 505 und ihm
folgend Wolfg. Schmid 15 im Anschluß an Ed. Norden 147 ff. bedienen, gehört
der rhetorischen Terminologie an (Lausberg I S. 377ff.). Sie sollte dem Wort-
sinn nach nur da angewendet werden, wo der Redner oder Schriftsteller sich
vom normalen Publikum 'abwendet’, um ein neues Gegenüber anzusprechen.
Danach käme hier dieser Terminus nur dem ganzen Hymnus zu, dessen Du-Stil
sich auf die Philosophia bezieht, während das Proömium des Buches V der
Tusculanen (§ 1-11) im übrigen den Brutus zum Du-Adressaten gewählt hat.
3 Dazu allgemein C. Ausfeld, a. 0. 515. 525 ff. Zum 'objektiven Hymnus’ (ohne
Gebet) vgl. R. Wünsch, a. 0. 145.
4 Beispiele bei Ed. Norden 149 ff.
5 Beispiele wiederum bei Norden 157 ff.; vgl. bes. Pindar, Nem. 7, 1 ff.
6 a. 0. 154, Beispiele in Menge 151 ff.
7 a. 0. 149 ff., vgl. ob. S. 11, Anm. 8 u. unt. S. 1 la/b, Anm. 13.
Wo wie in unserem Fall der rhetorisch aufs feinste geschulte Autor
einen Hymnus stilisiert, darf es nicht verwundern, daß sich beide
Kategorien, die rednerische und die religiöse, gegenseitig ergänzen,
durchdringen und zu einem eindrucksvollen Ganzen verbinden. Wir
betrachten zunächst die Struktur des Hymnus1 cds Form religiöser
Rede.
An die Epiklese2 I schließt sich der eigentliche Hymnus II an, des-
sen ‘objektiver’ Teil3 A und G das Gebet B umschließt. Zunächst
folgt der Epiklese wie üblich4 die Aretalogie A 2, eingeleitet durch
einen vom rhetorischen Schema her bestimmten Fragesatz A 1, der
allerdings den für den Hymnenstil so wichtigen ανευ σοΰ-Topos ent-
hält, wie er sich auch sonst mit der Epiklese gern unmittelbar ver-
bindet5. Er ersetzt also gewissermaßen das was Eduard Norden6 die
„generalisierende Formel“ nennt, die sonst meist in einen Relativ-
satz gefaßt, auch mit sive-sive eingeleitet oder nach dem Typ ge-
bildet ist ‘wenn du früher geholfen hast, so hilf auch jetzt’ u. ä. Die
eigentliche Aretalogie mit ihrer Folge von ίζί-Anaphern und Fle-
xionsreimen hat wiederum Ed. Norden7 übersichtlich mit Beispielen
belegen können, ohne doch auf Ciceros Lobpreis der Philosophie
1 Dafür vgl. allgemein neben und vor Ed. Norden, Agn. Th. 149 ff. u. ö. auch R.
Wünsch, RE IX 1916, 140-183 (s. v. Hymnos), insbes. Sp. 144 f. Vgl. a. H.
Kleinknecht, Die Gebetsparodie in der Antike, 1937, S. 18 ff. - Zum Inhalt der
Epiklese (I) s. unt. S. 29 ff.
2 Die Bezeichnung 'Apostrophe’, deren sich 0. Weinreich 1922, 505 und ihm
folgend Wolfg. Schmid 15 im Anschluß an Ed. Norden 147 ff. bedienen, gehört
der rhetorischen Terminologie an (Lausberg I S. 377ff.). Sie sollte dem Wort-
sinn nach nur da angewendet werden, wo der Redner oder Schriftsteller sich
vom normalen Publikum 'abwendet’, um ein neues Gegenüber anzusprechen.
Danach käme hier dieser Terminus nur dem ganzen Hymnus zu, dessen Du-Stil
sich auf die Philosophia bezieht, während das Proömium des Buches V der
Tusculanen (§ 1-11) im übrigen den Brutus zum Du-Adressaten gewählt hat.
3 Dazu allgemein C. Ausfeld, a. 0. 515. 525 ff. Zum 'objektiven Hymnus’ (ohne
Gebet) vgl. R. Wünsch, a. 0. 145.
4 Beispiele bei Ed. Norden 149 ff.
5 Beispiele wiederum bei Norden 157 ff.; vgl. bes. Pindar, Nem. 7, 1 ff.
6 a. 0. 154, Beispiele in Menge 151 ff.
7 a. 0. 149 ff., vgl. ob. S. 11, Anm. 8 u. unt. S. 1 la/b, Anm. 13.