Ciceros Gebetshymnus an die Philosophie
33
τ’ έστί καί άνιαρώς ζη). Und um die Worte eueres Dichters zu gebrau-
chen, wenn anders er sich richtig ausdrückt, so 'möchte ich weder in
Erinnerung bringen noch in Rechnung stellen einen Mann’ (v. 1), der
nicht4 alles was man als gut bezeichnet (πάντα τά λεγάμενα καλά, vgl.
ν. 9) mit Gerechtigkeit ausführen (πράττοι) und erwerben würde4,
und vollends (nicht) unter der gleichen Voraussetzung (τοιοΰτος ών,
d. h. μετά δικαιοσύνης) 'den Nahkampf mit den Feinden suchte’ (v. 12),
während er bei ungerechtem Verhalten5 es wohl nicht einmal wagen
würde 'blutiges Morden mit anzusehen’ (v. 11) noch 'im Wettlauf
besiegen würde den thrakischen Nordwind’ (v. 4), geschweige denn
daß ihm je von den erwähnten Gütern6 sonst irgend eines zuteil
würde“.
Es zeigt sich also, daß Platon im negativen Teil der Priamel
(660 E 6 ff.), nachdem er schon vorher eigenwillig den Höchstwert
des δίκαιον eingeführt hat (bei Tyrtaios ist es allein die αρετή im
Sinn der Tapferkeit), den Dichter vollends umdeutet, kritisiert und
zugleich in tödlicher Weise ironisiert7. Dadurch ergibt sich auch eine
4 In der von Platon gewählten Satzkonstruktion ουτ’ αν μνησαίμην . . . άνδρα,
die mit δς μή . . . πράττοι καί κτωτο, καί δή . .. δρέγοιτο auch im Grammati-
schen sehr frei über die Vorlage verfügt, dürfte sich die Negation μή aus dem
kondiziönalen Sinn des Relativsatzes rechtfertigen (vgl. Hom., Od. 11, 489 f.
βουλοίμην κ’.. . θητευέμεν άλλφ . . ., φ μή βίοτος πολύς εϊη - s. Kühner-Gerth
II 429, vgl. I 255 - oder Platon, Lysis 215 B 2 δ δέ μή άγαπώη, ούδ’ αν φίλοι.
Staat IX 578 Ε 5: K.-G. II 188). Die Optative im Relativsatz könnten auch ein-
fach als Assimilation des Modus an den übergeordneten Potentialis aufgefaßt
werden (s. Curtius-Hartel-Weigel, Griech. Schulgrammatik § 270, 1, Anm.);
denn die da und dort aufgestellte Regel Kühner-Gerth II 428f., 4a - vgl.
441 f. - (s. a. J. Μ. Stahl, Syntax des griech. Verbums der klass. Zeit, 1907,
S. 532 f.) scheint i. a. nur für Poesie zu gelten. Die Syntax der kondizionalen
Relativsätze (bes. in Abhängigkeit von einem Potentialis) ist jedenfalls um-
stritten und bedürfte einer gründlichen Untersuchung, wie sie auch die sprach-
geschichtlich und strukturalistisch ausgerichtete Monographie von P. Monteil,
La phrase relative en grec ancien . . . 1963 noch nicht angestellt hat.
5 Mit άδικος δέ ών . . . setzt eine Art von umgekehrtem Anakoluth ein; d. h. Platon
führt formal die bisherige Konstruktion fort, während der Sinn nach einem
neuen Hauptsatz verlangt. An einen echten Optativ (Wunschsatz), der hier ganz
unvermittelt einsetzt, wird man nicht denken dürfen.
6 των λεγομένιον αγαθών 661 A 3 f. bezieht sich offenbar zurück auf πάντα τά
λεγόμενα καλά 660 Ε 8 f.
7 Gerh. Müller, Der Aufbau der Bücher II und VII von Platons Gesetzen . . .
Diss. Königsberg 1935, S. 33 f. spricht von einem „platonisierten Tyrtaios“ und
von „platonisch umgedichteten Tyrtaiosworten“ (ähnlich dann auch W. Jaeger,
Paideia III 1947, S. 308), lehnt aber jeden Gedanken an ein ironisches Ethos
ab. Vgl. dazu a. unt. S. 36, Anm. 18.
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τ’ έστί καί άνιαρώς ζη). Und um die Worte eueres Dichters zu gebrau-
chen, wenn anders er sich richtig ausdrückt, so 'möchte ich weder in
Erinnerung bringen noch in Rechnung stellen einen Mann’ (v. 1), der
nicht4 alles was man als gut bezeichnet (πάντα τά λεγάμενα καλά, vgl.
ν. 9) mit Gerechtigkeit ausführen (πράττοι) und erwerben würde4,
und vollends (nicht) unter der gleichen Voraussetzung (τοιοΰτος ών,
d. h. μετά δικαιοσύνης) 'den Nahkampf mit den Feinden suchte’ (v. 12),
während er bei ungerechtem Verhalten5 es wohl nicht einmal wagen
würde 'blutiges Morden mit anzusehen’ (v. 11) noch 'im Wettlauf
besiegen würde den thrakischen Nordwind’ (v. 4), geschweige denn
daß ihm je von den erwähnten Gütern6 sonst irgend eines zuteil
würde“.
Es zeigt sich also, daß Platon im negativen Teil der Priamel
(660 E 6 ff.), nachdem er schon vorher eigenwillig den Höchstwert
des δίκαιον eingeführt hat (bei Tyrtaios ist es allein die αρετή im
Sinn der Tapferkeit), den Dichter vollends umdeutet, kritisiert und
zugleich in tödlicher Weise ironisiert7. Dadurch ergibt sich auch eine
4 In der von Platon gewählten Satzkonstruktion ουτ’ αν μνησαίμην . . . άνδρα,
die mit δς μή . . . πράττοι καί κτωτο, καί δή . .. δρέγοιτο auch im Grammati-
schen sehr frei über die Vorlage verfügt, dürfte sich die Negation μή aus dem
kondiziönalen Sinn des Relativsatzes rechtfertigen (vgl. Hom., Od. 11, 489 f.
βουλοίμην κ’.. . θητευέμεν άλλφ . . ., φ μή βίοτος πολύς εϊη - s. Kühner-Gerth
II 429, vgl. I 255 - oder Platon, Lysis 215 B 2 δ δέ μή άγαπώη, ούδ’ αν φίλοι.
Staat IX 578 Ε 5: K.-G. II 188). Die Optative im Relativsatz könnten auch ein-
fach als Assimilation des Modus an den übergeordneten Potentialis aufgefaßt
werden (s. Curtius-Hartel-Weigel, Griech. Schulgrammatik § 270, 1, Anm.);
denn die da und dort aufgestellte Regel Kühner-Gerth II 428f., 4a - vgl.
441 f. - (s. a. J. Μ. Stahl, Syntax des griech. Verbums der klass. Zeit, 1907,
S. 532 f.) scheint i. a. nur für Poesie zu gelten. Die Syntax der kondizionalen
Relativsätze (bes. in Abhängigkeit von einem Potentialis) ist jedenfalls um-
stritten und bedürfte einer gründlichen Untersuchung, wie sie auch die sprach-
geschichtlich und strukturalistisch ausgerichtete Monographie von P. Monteil,
La phrase relative en grec ancien . . . 1963 noch nicht angestellt hat.
5 Mit άδικος δέ ών . . . setzt eine Art von umgekehrtem Anakoluth ein; d. h. Platon
führt formal die bisherige Konstruktion fort, während der Sinn nach einem
neuen Hauptsatz verlangt. An einen echten Optativ (Wunschsatz), der hier ganz
unvermittelt einsetzt, wird man nicht denken dürfen.
6 των λεγομένιον αγαθών 661 A 3 f. bezieht sich offenbar zurück auf πάντα τά
λεγόμενα καλά 660 Ε 8 f.
7 Gerh. Müller, Der Aufbau der Bücher II und VII von Platons Gesetzen . . .
Diss. Königsberg 1935, S. 33 f. spricht von einem „platonisierten Tyrtaios“ und
von „platonisch umgedichteten Tyrtaiosworten“ (ähnlich dann auch W. Jaeger,
Paideia III 1947, S. 308), lehnt aber jeden Gedanken an ein ironisches Ethos
ab. Vgl. dazu a. unt. S. 36, Anm. 18.