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Köhler, Erich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1968, 4. Abhandlung): "Conseil des barons" und "jugement des barons": epische Fatalität und Feudalrecht im altfranzösischen Rolandslied ; vorgetragen am 29. 6. 1968 — Heidelberg, 1968

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https://doi.org/10.11588/diglit.44217#0010
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Erich Köhler

als Verrat feierlich beschworen. Mit Geiseln, Tribut und der Zusage
der Annahme aller Bedingungen durch Marsilie zu Karl zurück-
gekehrt, kann Ganelon sein Werk vollenden: auf seinen von der
Versammlung gebilligten Vorschlag muß der Kaiser, obwohl ein
prophetischer Traum ihm schlimme Ahnungen eingab, seinen Neffen
und Liebling Roland zum Führer der Nachhut ernennen. Roland,
die 12 Pairs und 20 000 Franken sterben bei Roncevaux in heroi-
schem Kampf gegen die heidnische Übermacht. Der Kaiser, infolge
Rolands Stolz und desmesure, die ihn den hilfeheischenden Hornruf
allzulange verweigern lassen, zu spät zurückkehrend, kann die Nach-
hut nur noch rächen. Mit Hilfe des Josuawunders vernichtet er Mar-
silies Heer; dank dem Eingreifen des Erzengels Gabriel, über den
Gott mit ihm zu verkehren pflegt, besiegt er den mit den Zügen des
Antichrist ausgestatteten Emir Baligant. Seltsamerweise bedarf er
auch Gottes Hilfe, um Ganelon für seinen Verrat zu bestrafen. Ga-
nelon gibt zu, den Tod Rolands und der Seinen gewollt und bewirkt
zu haben, weist aber die Anklage auf Verrat am Kaiser zurück. Die
von Karl aus allen Teilen des Reichs herbeigerufenen Richter lehnen
es ab, Ganelon zu verurteilen. Karl ist völlig machtlos. Erst ein got-
tesgerichtlicher Zweikampf zwischen dem einzigen der Richter, der
Karls Sache vertritt, und einem Vertreter der Sippe Ganelons bringt
die Entscheidung. Ganelon wird hingerichtet, und mit ihm 30 Bür-
gen.
Unsere allzu knappe Inhaltsübersicht konnte nur andeuten, in
welcher Weise hier eine tragisch-heroische Handlung in einen heils-
geschichtlich-providentiellen Geschehniszusammenhang integriert
und in ihm exemplarisch aufgehoben ist. Wir müssen diesen letzte-
ren Aspekt vernachlässigen, um ihn später besser zu verstehen.
Kein aufmerksamer Leser des Rolandslieds kann sich dem Ein-
druck entziehen, daß der Dichter, der nicht kontinuierlich erzählt,
sondern eine Abfolge von geschlossenen und kunstvoll einander zu-
geordneten Szenen darbietet7, in seiner Exposition besonders sorg-
fältig komponiert hat. In der Szene des Kriegsrats, parallel geord-
net zum Rat des Heidenkönigs auf der einen und zur Szene der Er-
nennung Rolands zum Führer der Nachhut auf der andern Seite,
beide jeweils getrennt durch die Gesandschaften und symmetrisch
nach der Struktur eines Chiasmus gebaut8, bricht der Konflikt aus,
7 Vgl. dazu P. Le Gentil, La Chanson de Roland, Paris 1955, S. 165f.
8 S. A. Burger, Le rire de Roland, Cahiers de Civilisation Medievale III (1960)
S. 2ff., bes. S. 6.
 
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