Conseil des barons» und «jugement des barons:
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nen Stiefvater vorschlägt, in diesem Augenblick gewiß ist, in Über-
einstimmung mit den Intentionen des Kaisers zu handeln und die
Zustimmung der Versammlung zu erhalten. Mit Recht, weil dem
bisherigen Verlauf der Versammlung nach einen objektiven Tat-
bestand ausdrückend, wirft folglich Ganelon dem Stiefsohn vor, er
habe absichtlich die Wahl auf ihn gelenkt unter böswilligem Miß-
brauch der Regeln des cunseill: «Sur mei avez turnet fcils jugement»
(v. 307). Wir wissen: Ganelon wird sich mit der gleichen Waffe
rächen.
Ganelons wütende Reaktion hat ihre Ursache nicht in physischer
Angst um sein Leben42, sondern in der betrogenen Sehnsucht nach
Frieden und Heimkehr zu den Seinen, vor allem aber im gedemütig-
ten Stolz, in der plötzlichen Erfahrung, daß sein Leben, anders als
das dem Kaiser so kostbare der Pairs, gering erachtet wird, daß es
um ihn, sollte er in Saragossa sterben, nicht schade ist, und daß es
sein Stiefsohn ist, dessen Verachtung er ein «Urteil» verdankt, das
er nur als Unrecht, ja als einen sich der Formen des geltenden Rechts
bedienenden Anschlags auf sein Leben empfinden kann43. Dem Kai-
ser kann der Vorwurf nicht erspart werden, daß er seine Schutz-
pflicht gegen Ganelon zumindest nicht ernst nimmt, was dieser auch
42 Darüber ist sich die neuere Forschung einig. Der Dichter hat alles getan, um
Ganelon nicht als einen gewöhnlichen Verräter erscheinen zu lassen. Ganelons
Verhalten widerspricht ganz und gar der Auffassung, seine Reaktion im Con-
seil entspringe der Angst um sein Leben. Seit S. Pellegrinis Aufsatz: L’ira di
Gano (Cultura Neolatina III, 1943, S. 161f., wieder abgedruckt in: Studi ro-
landiani e trobadorici, Bari 1964, S. 122ff.) wird der Ausdruck mult anguis-
ables in v. 280 (Et li quens Guenes en fut mult anguisables} nicht mehr mit
«voller Angst, Furcht» übersetzt, sondern mit «aufgeregt», «beleidigt» (Pelle-
grini: «irritato» o «offeso»). Zustimmend Μ. de Riquer, Los cantares de gesta
franceses, Madrid 1952, S. 99, Anm. 7. A. Burger, Le rire de Roland, Cahiers
de Civilisations Medievale III (1960) S. 9, kommentiert den Vers: «son coeur
se serre, non de peur, mais de fureur». R. Lejeune (Le peche de Charlemagne,
S. 36lf, Anm. 65) entscheidet sich nach Diskussion der seitherigen Interpre-
tationen für anguisable = «ce qui cause de l’angoisse». «angsterregend» statt
«angstvoll». Dagegen noch H. W. Klein, La Chanson de Roland, München
1963, S. 25: «Doch Graf Ganelon ward von Furcht ergriffen».
43 Siehe Ganelons Verteidigung während des Prozesses: Rollant sis nies me
coillit en haür, 1 Si me jugat a mort et a dulur (v. 3771f.). Vgl. A. Burger,
a. a. 0., S. 8: «Au fait, etait-ce bien le role du filiätre de designer le propre
beau-frere de l’empereur pour une mission si dangereuse que Charles vient
par trois fois de refuser d’exposer au peril les plus chers de ses amis? et n’etait-
ce pas manifestement sous-entendre que son beau-frere lui etait moins eher que
son neveu?».
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nen Stiefvater vorschlägt, in diesem Augenblick gewiß ist, in Über-
einstimmung mit den Intentionen des Kaisers zu handeln und die
Zustimmung der Versammlung zu erhalten. Mit Recht, weil dem
bisherigen Verlauf der Versammlung nach einen objektiven Tat-
bestand ausdrückend, wirft folglich Ganelon dem Stiefsohn vor, er
habe absichtlich die Wahl auf ihn gelenkt unter böswilligem Miß-
brauch der Regeln des cunseill: «Sur mei avez turnet fcils jugement»
(v. 307). Wir wissen: Ganelon wird sich mit der gleichen Waffe
rächen.
Ganelons wütende Reaktion hat ihre Ursache nicht in physischer
Angst um sein Leben42, sondern in der betrogenen Sehnsucht nach
Frieden und Heimkehr zu den Seinen, vor allem aber im gedemütig-
ten Stolz, in der plötzlichen Erfahrung, daß sein Leben, anders als
das dem Kaiser so kostbare der Pairs, gering erachtet wird, daß es
um ihn, sollte er in Saragossa sterben, nicht schade ist, und daß es
sein Stiefsohn ist, dessen Verachtung er ein «Urteil» verdankt, das
er nur als Unrecht, ja als einen sich der Formen des geltenden Rechts
bedienenden Anschlags auf sein Leben empfinden kann43. Dem Kai-
ser kann der Vorwurf nicht erspart werden, daß er seine Schutz-
pflicht gegen Ganelon zumindest nicht ernst nimmt, was dieser auch
42 Darüber ist sich die neuere Forschung einig. Der Dichter hat alles getan, um
Ganelon nicht als einen gewöhnlichen Verräter erscheinen zu lassen. Ganelons
Verhalten widerspricht ganz und gar der Auffassung, seine Reaktion im Con-
seil entspringe der Angst um sein Leben. Seit S. Pellegrinis Aufsatz: L’ira di
Gano (Cultura Neolatina III, 1943, S. 161f., wieder abgedruckt in: Studi ro-
landiani e trobadorici, Bari 1964, S. 122ff.) wird der Ausdruck mult anguis-
ables in v. 280 (Et li quens Guenes en fut mult anguisables} nicht mehr mit
«voller Angst, Furcht» übersetzt, sondern mit «aufgeregt», «beleidigt» (Pelle-
grini: «irritato» o «offeso»). Zustimmend Μ. de Riquer, Los cantares de gesta
franceses, Madrid 1952, S. 99, Anm. 7. A. Burger, Le rire de Roland, Cahiers
de Civilisations Medievale III (1960) S. 9, kommentiert den Vers: «son coeur
se serre, non de peur, mais de fureur». R. Lejeune (Le peche de Charlemagne,
S. 36lf, Anm. 65) entscheidet sich nach Diskussion der seitherigen Interpre-
tationen für anguisable = «ce qui cause de l’angoisse». «angsterregend» statt
«angstvoll». Dagegen noch H. W. Klein, La Chanson de Roland, München
1963, S. 25: «Doch Graf Ganelon ward von Furcht ergriffen».
43 Siehe Ganelons Verteidigung während des Prozesses: Rollant sis nies me
coillit en haür, 1 Si me jugat a mort et a dulur (v. 3771f.). Vgl. A. Burger,
a. a. 0., S. 8: «Au fait, etait-ce bien le role du filiätre de designer le propre
beau-frere de l’empereur pour une mission si dangereuse que Charles vient
par trois fois de refuser d’exposer au peril les plus chers de ses amis? et n’etait-
ce pas manifestement sous-entendre que son beau-frere lui etait moins eher que
son neveu?».