Conseil des barons» und «jugement des barons;
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Ihre Bedeutung ist indessen damit noch nicht erschöpft. Der po-
litische Konflikt ist so eindrucksvoll in einen Konflikt von Personen
übersetzt, daß sich für mehrere Interpreten, voran Joseph Bedier,
die Handlung primär aus dem Zusammenstoß unverträglicher Tem-
peramente und individueller Willensentscheidungen erklärte: «(Le
poeme de Turold) n’est pas un drame de la fatalite, mais de la
volonte»81. Die einzige Fatalität, welche die Helden des Rolands-
lieds beherrscht, soll der Adel ihres Herzens gewesen sein: «La seule
fatalite qui les domine, c’est la noblesse de leurs coeurs»82. Auch
hier hat Bediers Individualismus die eine Wahrheit erkannt und
die ganze Wahrheit verfehlt, indem er, vor der scheinbar unum-
gänglichen Alternative Fatalität-Willensfreiheit stehend glaubte,
sich für die letztere entscheiden zu müssen83. Der bei solcher Be-
trachtungsweise verfehlten poetischen Synthese von Schicksal und
Charakter ist in der Welt des Epos die Besonderheit eigen, daß -
wie Hegel erkannt hat und wie das Verhalten Rolands und Ganelons
unwiderleglich beweist - eine «unmittelbare Einheit von Empfin-
dung und Handlung» vorliegt und das, was sich später zu morali-
schen Normen verselbständigt, als noch unreflektierte Bedingung
der Existenz »noch ganz lebendige, von dem einzelnen Individuum
als solchem unabgetrennte Gesinnung bleibt und auch Wille und
81 J. Bedier, Les legendes epiques, III, Paris 1921, S. 411.
82 A.a. 0., S. 426. Die Notwendigkeit, mit der sich Rolands Schicksal vollzieht,
ist auch für P. Le Gentil eine unausweichlich-fatale, aber - und hier übernimmt
er die Ansicht Bediers - nur im Verein mit der Folgerichtigkeit der Charak-
tere: «Comme l’a dit Bedier, la fatalite voulait qu’il en füt ainsi. Mais cette
fatalite, c’est selon la logique des caracteres qu’elle agit: «eile n’est autre que
la liberte des consciences». (La Chanson de Roland, Paris 1955, S. 102).
83 Und dies, obwohl Bedier durchaus gesehen hatte, daß der künstlerische Rang
des Werks gerade darauf beruht, daß es richtig geschaffene Charaktere sind,
durch welche sich das Schicksal ihrer Träger mit-, aber nicht allein voll-
zieht. Anders hätte er wohl nicht schreiben können: «. . . transporter l’action
du monde fatal des faits dans le monde libre des volontes, voilä ce que Turold
a su faire» (a. a. 0., S. 42). Vgl. dagegen C. Segre, der, obwohl nichts weniger
als ein Gegner Bediers, die «insufficienza, e in sostanza il fallimento, di illu-
strazioni a sfondo psicologico» behauptet (Studi Francesi V, 1961, S. 283). -
Vgl. hierzu Hegel, Ästhetik, S. 974: «. . . im Epos stehen Charakter und Not-
wendigkeit des Äußerlichen als gleich stark nebeneinander; und das epische
Individuum kann deshalb den äußeren Umständen, ohne Schaden für seine
poetische Individualität, nachzugeben scheinen und in seinem Handeln das
Resultat der Verhältnisse sein, so daß diese dadurch als das Mächtige an die
Stelle des im Drama ausschließlich wirkenden Charakters treten».
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Ihre Bedeutung ist indessen damit noch nicht erschöpft. Der po-
litische Konflikt ist so eindrucksvoll in einen Konflikt von Personen
übersetzt, daß sich für mehrere Interpreten, voran Joseph Bedier,
die Handlung primär aus dem Zusammenstoß unverträglicher Tem-
peramente und individueller Willensentscheidungen erklärte: «(Le
poeme de Turold) n’est pas un drame de la fatalite, mais de la
volonte»81. Die einzige Fatalität, welche die Helden des Rolands-
lieds beherrscht, soll der Adel ihres Herzens gewesen sein: «La seule
fatalite qui les domine, c’est la noblesse de leurs coeurs»82. Auch
hier hat Bediers Individualismus die eine Wahrheit erkannt und
die ganze Wahrheit verfehlt, indem er, vor der scheinbar unum-
gänglichen Alternative Fatalität-Willensfreiheit stehend glaubte,
sich für die letztere entscheiden zu müssen83. Der bei solcher Be-
trachtungsweise verfehlten poetischen Synthese von Schicksal und
Charakter ist in der Welt des Epos die Besonderheit eigen, daß -
wie Hegel erkannt hat und wie das Verhalten Rolands und Ganelons
unwiderleglich beweist - eine «unmittelbare Einheit von Empfin-
dung und Handlung» vorliegt und das, was sich später zu morali-
schen Normen verselbständigt, als noch unreflektierte Bedingung
der Existenz »noch ganz lebendige, von dem einzelnen Individuum
als solchem unabgetrennte Gesinnung bleibt und auch Wille und
81 J. Bedier, Les legendes epiques, III, Paris 1921, S. 411.
82 A.a. 0., S. 426. Die Notwendigkeit, mit der sich Rolands Schicksal vollzieht,
ist auch für P. Le Gentil eine unausweichlich-fatale, aber - und hier übernimmt
er die Ansicht Bediers - nur im Verein mit der Folgerichtigkeit der Charak-
tere: «Comme l’a dit Bedier, la fatalite voulait qu’il en füt ainsi. Mais cette
fatalite, c’est selon la logique des caracteres qu’elle agit: «eile n’est autre que
la liberte des consciences». (La Chanson de Roland, Paris 1955, S. 102).
83 Und dies, obwohl Bedier durchaus gesehen hatte, daß der künstlerische Rang
des Werks gerade darauf beruht, daß es richtig geschaffene Charaktere sind,
durch welche sich das Schicksal ihrer Träger mit-, aber nicht allein voll-
zieht. Anders hätte er wohl nicht schreiben können: «. . . transporter l’action
du monde fatal des faits dans le monde libre des volontes, voilä ce que Turold
a su faire» (a. a. 0., S. 42). Vgl. dagegen C. Segre, der, obwohl nichts weniger
als ein Gegner Bediers, die «insufficienza, e in sostanza il fallimento, di illu-
strazioni a sfondo psicologico» behauptet (Studi Francesi V, 1961, S. 283). -
Vgl. hierzu Hegel, Ästhetik, S. 974: «. . . im Epos stehen Charakter und Not-
wendigkeit des Äußerlichen als gleich stark nebeneinander; und das epische
Individuum kann deshalb den äußeren Umständen, ohne Schaden für seine
poetische Individualität, nachzugeben scheinen und in seinem Handeln das
Resultat der Verhältnisse sein, so daß diese dadurch als das Mächtige an die
Stelle des im Drama ausschließlich wirkenden Charakters treten».