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Köhler, Erich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1968, 4. Abhandlung): "Conseil des barons" und "jugement des barons": epische Fatalität und Feudalrecht im altfranzösischen Rolandslied ; vorgetragen am 29. 6. 1968 — Heidelberg, 1968

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https://doi.org/10.11588/diglit.44217#0041
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Conseil des barons» und «jugement des barons;

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An die Stelle der Großvasallen, die zu Anfang des 11. Jahrhun-
derts durch relativ häufige Anwesenheit am Hof dort unmittelbaren
Einfluß ausüben, treten mehr und mehr die dem König verbundenen
«Beamten» aus dem mittleren und kleineren Adel der Königsdo-
mäne. Was zunächst die Machtlosigkeit des Königtums bewirkt und
bezeugt, nämlich der verächtliche Rückzug der Herzöge und Grafen
vom Hof, läßt die Schicht der «grands officiers» aus franzischen
Geschlechtern auch politisch zu jener Schlüsselstellung gelangen, die
sie bis dahin nur militärisch als persönliches Gefolge des Königs
innehatten. Im letzten Drittel des 11. Jhs., unter Philipp I., domi-
nieren sie in der königlichen Verwaltung. Auf sie gestützt wird
Ludwig VI. bereits als Mitregent seines Vaters Philipp die unter
diesem angebahnte, obgleich erst in Ansätzen sichtbare Wiederer-
stehung der Königsmacht einleiten87. Diese neuformierte Gruppe
königlicher Beamter und Dienstleute rekrutiert sich, wie Lemarignier
nachweist, fast ausschließlich aus verwandtschaftlich eng verbunde-
nen Burgherren (chätelains), Seigneurs und Rittern der Ile de
France88. Diese Familien bilden «une noblesse d’Ile-de-France»,
«une veritable aristocratie d’Ile-de-France»89.
Nach diesen Feststellungen und bei dem Stand, den unsere Über-
legungen auf der Basis erneuter Textanalyse erreicht haben, sind
wir zu der Schlußfolgerung ermächtigt: die 12 Pairs sind nichts
anderes als die historisch-legendär vorgeprägte, bewußt archai-
sierende und dadurch literarisch modifizierte Projektion der «grands
officiers du roi» der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts, und die
87 «Cette evolution (d. h. der Rückzug der Großen vom Hof) eüt conduit ä une
anarchie aggravee sans l’essor d’une categorie nouvelle, celle des grands offi-
ciers du roi, dont les progres constituent un premier aspect, et un aspect essen-
tiel, du redressement qui s’est dessine aux trente annees ou nous sommes»
(a. a. 0., S. 148). - Durch Lemarigniers Forschungen wird die bisher herr-
schende Auffassung korrigiert, nach der in die letzten Jahrzehnte des 11. Jhs.
der absolute Tiefpunkt, gleichsam der Nullpunkt der königlichen Macht fällt.
Noch K.-H. Bender, sonst mit den Arbeiten der Historiker bestens vertraut,
sieht in den beiden letzten Jahrzehnten des 11. Jhs. die «Zeit des größten mo-
ralischen und politischen Niedergangs der französischen Monarchie» (König
und Vasall, S. 38).
88 «Les grands officiers constituent des equipes politiques nouvelles, mais ils sont
issus des familles qui, plus anciennement, avaient aupres du roi acquis la pre-
ponderance ... Ils appartenaient au monde des chätelains de l’Ile-de-France,
branches ainees ou cadettes, chätelains majeurs ou mineurs, et aussi des Che-
valiers» (a. a. 0., S. 153).
89 A.a.O., S. 135 und 153.
 
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