Der Epitaphios des Perikies
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wir nach ihrer Funktion im Ganzen des thukydideischen Geschichts-
werkes fragen. Dabei ist zu bedenken, daß Thukydides wohl auch
den Epitaphios wie die meisten anderen großen Reden erst nach dem
Ende des Krieges, also nach 404, geschrieben hat. Denn die drei
großen Perikiesreden mit dem folgenden ,Nachruf' auf Perikies
(II 65), in dem das Ende des Krieges ja direkt erwähnt wird (65, 12),
verraten im Aufbau der Gedanken eine Geschlossenheit, die von
einer einheitlichen Konzeption herrühren muß5.
Die entscheidende Frage ist nun die, was es bedeutet, wenn Thuky-
dides nach der völligen Zerstörung der Macht Athens eben diese
Macht den Perikies so überaus stolz preisen läßt, indem er die Schil-
derung der athenischen Wesensart in einem prächtigen Bild von der
gewaltigen überallhin reichenden Macht Athens geradezu gipfeln
läßt (II 41). Für die Erklärung dieses eigenartigen Sachverhaltes
hat die Forschung bisher zwei sich gelegentlich überschneidende
Argumente gegeben. Erstens: der Epitaphios sei ein Glied in der von
Thukydides nach dem Kriege in einer Gesamtdeutung des Gesche-
hens systematisch betriebenen Perikiesapologie. Diese Deutung
stammt mit dem Nachweis der Spätdatierung des Epitaphios im we-
sentlichen von Eduard Schwartz6, der die sog. ,Retraktation‘ durch
die nach dem Kriege erhobenen Angriffe gegen die perikleische Poli-
tik ausgelöst sein läßt. Diese Auffassung ist dann mehrfach wieder-
holt und variiert worden, auch von denjenigen Forschern, die sich
Schwartzens Auffassung von der Entstehung des thukydideischen
Geschichtswerkes nicht oder nur bedingt zu eigen gemacht haben.
So ist auch für W. Schadewaldt die Neubearbeitung der vier ersten
Bücher nach 404 „unternommen, um die Reichspolitik des Perikies
zu rechtfertigen vor der Gegenwart wie vor der Geschichte, um im
besonderen das wirklichkeitsgetreue Bild attischen Wesens, im
Ruhme verklärt, der Nachwelt zu übergeben“ (Die Geschichtsschrei-
bung des Thukydides, Berlin 1929, 39). Für Pohlenz wird der Epi-
taphios gar „zum Hohen Lied auf das perikleische Ideal“ (Thuky-
didesstudien 136, Kl. Sehr. II 251), „eine Huldigung vor der Per-
sönlichkeit des Perikies“ (a. 0. 126 = Kl. Sehr. II 241) und seiner
Politik, die gewiß in bestimmter Weise eine „imperialistische Poli-
5 M. Pohlenz, Thukydidesstudien, NGG 1919, 125 (= Kl. Sehr. II 1965, 240):
„Daß die jetzige Schilderung des zweiten Buches, insbesondere Epitaphios,
letzte Rede des Perikies und Epilog, in einem Zug nach 404 geschrieben sind,
bezweifelt heute niemand.“ 6 a. O. 146ff.
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wir nach ihrer Funktion im Ganzen des thukydideischen Geschichts-
werkes fragen. Dabei ist zu bedenken, daß Thukydides wohl auch
den Epitaphios wie die meisten anderen großen Reden erst nach dem
Ende des Krieges, also nach 404, geschrieben hat. Denn die drei
großen Perikiesreden mit dem folgenden ,Nachruf' auf Perikies
(II 65), in dem das Ende des Krieges ja direkt erwähnt wird (65, 12),
verraten im Aufbau der Gedanken eine Geschlossenheit, die von
einer einheitlichen Konzeption herrühren muß5.
Die entscheidende Frage ist nun die, was es bedeutet, wenn Thuky-
dides nach der völligen Zerstörung der Macht Athens eben diese
Macht den Perikies so überaus stolz preisen läßt, indem er die Schil-
derung der athenischen Wesensart in einem prächtigen Bild von der
gewaltigen überallhin reichenden Macht Athens geradezu gipfeln
läßt (II 41). Für die Erklärung dieses eigenartigen Sachverhaltes
hat die Forschung bisher zwei sich gelegentlich überschneidende
Argumente gegeben. Erstens: der Epitaphios sei ein Glied in der von
Thukydides nach dem Kriege in einer Gesamtdeutung des Gesche-
hens systematisch betriebenen Perikiesapologie. Diese Deutung
stammt mit dem Nachweis der Spätdatierung des Epitaphios im we-
sentlichen von Eduard Schwartz6, der die sog. ,Retraktation‘ durch
die nach dem Kriege erhobenen Angriffe gegen die perikleische Poli-
tik ausgelöst sein läßt. Diese Auffassung ist dann mehrfach wieder-
holt und variiert worden, auch von denjenigen Forschern, die sich
Schwartzens Auffassung von der Entstehung des thukydideischen
Geschichtswerkes nicht oder nur bedingt zu eigen gemacht haben.
So ist auch für W. Schadewaldt die Neubearbeitung der vier ersten
Bücher nach 404 „unternommen, um die Reichspolitik des Perikies
zu rechtfertigen vor der Gegenwart wie vor der Geschichte, um im
besonderen das wirklichkeitsgetreue Bild attischen Wesens, im
Ruhme verklärt, der Nachwelt zu übergeben“ (Die Geschichtsschrei-
bung des Thukydides, Berlin 1929, 39). Für Pohlenz wird der Epi-
taphios gar „zum Hohen Lied auf das perikleische Ideal“ (Thuky-
didesstudien 136, Kl. Sehr. II 251), „eine Huldigung vor der Per-
sönlichkeit des Perikies“ (a. 0. 126 = Kl. Sehr. II 241) und seiner
Politik, die gewiß in bestimmter Weise eine „imperialistische Poli-
5 M. Pohlenz, Thukydidesstudien, NGG 1919, 125 (= Kl. Sehr. II 1965, 240):
„Daß die jetzige Schilderung des zweiten Buches, insbesondere Epitaphios,
letzte Rede des Perikies und Epilog, in einem Zug nach 404 geschrieben sind,
bezweifelt heute niemand.“ 6 a. O. 146ff.