Metadaten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Kretische Löwenschale des siebten Jahrhunderts v. Chr. 35
nordsyrischen Bereich92. Eben von dorther scheint der Kult über-
tragen worden zu sein. Große metopenartige Kalkstein-Reliefs (Taf.
16,2)93 sowie viele kleine Votiv-Täfelchen und -Figuren aus Terra-
kotta94 zeigen den Typus der Göttin, die auf der Akropolis von
Gortyn verehrt wurde: eine nackte, frontal dargestellte Frau mit
Polos und mit langen Haaren. Die Hände liegen bald am Ober-
schenkel an, bald liegt eine Hand an der Scham, die andere an der
Brust oder am Schenkel. Bei einigen sind beide Hände an den Leib
oder an die Brust geführt. Der Typus tritt allein, zu zweien oder zu
dreien auf. Ob es sich dabei um die Göttin oder um einen Zwei- oder
Dreiverein von Göttinnen handelt oder um dämonische „Hiero-
dulen“, wie sie beispielsweise Ischtar bei den Hethitern hatte95, ist
nicht auszumachen. Jedenfalls spiegeln diese griechischen Bildwerke
von Gortyn die orientalische Erscheinung der nach Kreta verpflanz-
ten Göttin wider.
Wie ihre syrischen Vorbilder ausgesehen haben mögen, das zeigt
der goldene Polos in Baltimore, der etwa aus dieser Zeit stammt
(Taf. 16,i)96. Er zeigt in mehreren Bildfeldern nebeneinander je zwei
nackte „Hierodulen“ mit Polos auf dem Kopf und langen Haaren.
Zugleich kann die Gegenüberstellung den stilistischen Unterschied
zwischen diesen orientalischen Kunstwerken und den kretischen Um-
schöpfungen von Gortyn demonstrieren. In ihrer fülligen Körper-
form gleichen die Hierodulen des syrischen Polos der nackten Göttin
auf dem Schild der Idagrotte (Taf. 17,i).
Die orientalische Liebesgöttin und der Löwe
Die Göttin auf dem Schild vom Ida (Taf. 17,i) faßt zwei Löwen,
von denen sie flankiert wird, an den Ohren zum Zeichen ihrer Macht.
Kunze erwog, ob der Name dieser Göttin „in Kreta Rhea, Ga oder
92 Gortyn I 48 ff. Abb. 76.
93 Gortyn I 49. 156f. Abb. 77. 78, Taf. Illa und b; P. Demargne, Naissance de
l’art grec (1964) Abb. 459. Vgl. G. S. Korres, 2. Internat. Kretologischer Kon-
greß (1968) 115 ff.; seine Deutung auf zwei Göttinnen, die einen männlichen
Partner zwischen sich haben, hat mich nicht überzeugt.
94 Annuario Atene 17/18 (1955/56) [1957] 242ff.; Gortyn I 56 Abb. 87. 246, Taf.
XII ff. passim. 95 Haussig, Wörterbuch I 180.
96 Baltimore, The Walters Art Gallery; R. Zahn, Sammlung Baurat Schiller,
Auktions-Kat. 1929, Nr. 106 B Taf. 40; Akurgal a. 0. 156 f. Abb. 42.

3*
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften