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Hans Gerhard Senger
stiegsstufen, und zur Reform. Sermo XVIII11 behandelt das Thema
demgegenüber präziser. Vor allem geht Nikolaus jetzt auf die Quellen
ein. So wird auf die Aussage derer angespielt (u. a. Laktanz, Institu-
tiones), die glauben, daß das Gesamtalter der Welt 7000 Jahre nicht
überschreiten wird. Auch hier findet sich die Betonung des Endzeitcha-
rakters seiner Zeit wieder, der aus der Abnahme an Heiligkeit und an
Zunahme des Bösen in der Welt sichtbar wird. Darin zeigt sich die nahe
Ankunft des Antichrist.
In den folgenden Jahren scheint Nikolaus sich erneut intensiv mit
dem Endzeitproblem befaßt zu haben. Die Predigten aus der Zeit um
1440 gehen weit über die ersten Predigten und vor allem über die in De
concordantia catholica enthaltenen Gedanken hinaus. Sie rücken nicht
nur zeitlich, sondern auch inhaltlich näher an die Schrift über die Mut-
maßung von den letzten Tagen heran. Man bemerkt, daß die erkennt-
niskritischen Gedanken von De docta ignorantia selbst bei der Behand-
lung dieses spekulativen Themas Einfluß gewinnen. Es ist erstaunlich,
daß sich die Erkenntnisse der ersten philosophischen Hauptschrift bis
in Bereiche bemerkbar machen, die jenseits philosophischer Proble-
matikliegen.
In Sermo XXIII, der Neujahrspredigt über das Thema: Domine, in
lumine vultus tui ambulant18, nimmt Nikolaus bereits die Gedanken
vorweg, die sechs (bzw. fünf) Jahre später in der Coniectura de ultimis
diebus ausgeführt werden: Wie der Mensch und die Menschheit nach
Lebensaltern gezählt werden, so auch die Welt (n. 7), deren Zeitalter
in geschichtstheologischer Deutung mit den Lebensabschnitten Christi
gleichgesetzt werden. 50 Weltjahre entsprechen einem Lebensjahr
Christi (n. 10). Auf Grund dieser Gleichsetzung läßt sich ein Endzeit-
termin spekulativ errechnen. Mehr noch, es lassen sich in übertragener
Ausdeutung des Lebensablaufes Christi auf den geschichtlichen Welt-
verlauf die künftigen Weltperioden und letzten Phasen der Weltge-
schichte datieren. Der Ablauf der Endzeit wird im Rahmen der Erfül-
lung diesbezüglicher Prophetien und Verheißungen Christi erwartet
und dem periodischen Ablauf subsumiert.19 Nach dieser Spekulation
entspricht die Zeit, in der Nikolaus seine Predigt hält, dem Beginn des
17 Sermo XVIII (= Sermo VII nach Koch): Afferte domino gloriam et honorem,
1432/3-1436; Text: ed. p II 1, fol. 30rv.
18 Sermo XXIII (= Sermo XVII nach Koch) ist ebenfalls nicht in den Drucken ent-
halten. Der Text: Cod. Cus. 220 fol. 9V-14V.
19 Zum christologischen Aspekt der Weltalter- und Weltendespekulation vgl. R.
Haubst, Die Christologie, S. 97 ff.
Hans Gerhard Senger
stiegsstufen, und zur Reform. Sermo XVIII11 behandelt das Thema
demgegenüber präziser. Vor allem geht Nikolaus jetzt auf die Quellen
ein. So wird auf die Aussage derer angespielt (u. a. Laktanz, Institu-
tiones), die glauben, daß das Gesamtalter der Welt 7000 Jahre nicht
überschreiten wird. Auch hier findet sich die Betonung des Endzeitcha-
rakters seiner Zeit wieder, der aus der Abnahme an Heiligkeit und an
Zunahme des Bösen in der Welt sichtbar wird. Darin zeigt sich die nahe
Ankunft des Antichrist.
In den folgenden Jahren scheint Nikolaus sich erneut intensiv mit
dem Endzeitproblem befaßt zu haben. Die Predigten aus der Zeit um
1440 gehen weit über die ersten Predigten und vor allem über die in De
concordantia catholica enthaltenen Gedanken hinaus. Sie rücken nicht
nur zeitlich, sondern auch inhaltlich näher an die Schrift über die Mut-
maßung von den letzten Tagen heran. Man bemerkt, daß die erkennt-
niskritischen Gedanken von De docta ignorantia selbst bei der Behand-
lung dieses spekulativen Themas Einfluß gewinnen. Es ist erstaunlich,
daß sich die Erkenntnisse der ersten philosophischen Hauptschrift bis
in Bereiche bemerkbar machen, die jenseits philosophischer Proble-
matikliegen.
In Sermo XXIII, der Neujahrspredigt über das Thema: Domine, in
lumine vultus tui ambulant18, nimmt Nikolaus bereits die Gedanken
vorweg, die sechs (bzw. fünf) Jahre später in der Coniectura de ultimis
diebus ausgeführt werden: Wie der Mensch und die Menschheit nach
Lebensaltern gezählt werden, so auch die Welt (n. 7), deren Zeitalter
in geschichtstheologischer Deutung mit den Lebensabschnitten Christi
gleichgesetzt werden. 50 Weltjahre entsprechen einem Lebensjahr
Christi (n. 10). Auf Grund dieser Gleichsetzung läßt sich ein Endzeit-
termin spekulativ errechnen. Mehr noch, es lassen sich in übertragener
Ausdeutung des Lebensablaufes Christi auf den geschichtlichen Welt-
verlauf die künftigen Weltperioden und letzten Phasen der Weltge-
schichte datieren. Der Ablauf der Endzeit wird im Rahmen der Erfül-
lung diesbezüglicher Prophetien und Verheißungen Christi erwartet
und dem periodischen Ablauf subsumiert.19 Nach dieser Spekulation
entspricht die Zeit, in der Nikolaus seine Predigt hält, dem Beginn des
17 Sermo XVIII (= Sermo VII nach Koch): Afferte domino gloriam et honorem,
1432/3-1436; Text: ed. p II 1, fol. 30rv.
18 Sermo XXIII (= Sermo XVII nach Koch) ist ebenfalls nicht in den Drucken ent-
halten. Der Text: Cod. Cus. 220 fol. 9V-14V.
19 Zum christologischen Aspekt der Weltalter- und Weltendespekulation vgl. R.
Haubst, Die Christologie, S. 97 ff.