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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1973, 4. Abhandlung): Die neuen Menanderpapyri und die Originalität des Plautus: vorgetragen am 9. Dez. 1972 — Heidelberg, 1973

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https://doi.org/10.11588/diglit.44332#0022
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Viktor Pöschl

seinem Mißgeschick teilnimmt, wie lebhaft er sich mit seinen Gefühlen
identifiziert. Die eigenen Erfahrungen über falsche Freunde steuert er
ja nur deshalb bei, um klarzumachen, wie gut er nachfühlen kann,
was der Freund erlebt hat, und um ihn zu trösten: «So sind halt
manchmal Freunde, so ist der kauf der Welt.» Dadurch gewinnt auch
die Gestalt des Pistoclerus an Profil. Auf der andern Seite wird es dem
Mnesilochus jetzt um so schwerer, mit der bitteren Wahrheit heraus-
zurücken. Es wird verständlich, daß er nun erst recht zögert. Doch
kann er seine bitteren Gefühle, immer noch sich der verschleiernden
Rede bedienend, nicht unterdrücken (546): «Doch ihre Schlechtigkeit
bekommt ihnen schlecht. Sie haben keine Freunde. Alle haben sie als
Feinde gegen sich, und während sie sich in Wahrheit selbst betrügen,
glauben die Toren, daß andere betrogen werden.» Höchst geschickt
ist hier also der Kunstgriff des fiktiven Dritten oder, allgemeiner ge-
sprochen, der Verschiebung des wirklichen Geschehens auf eine
fiktive Ebene angewendet, wie sie das antike Bühnenspiel in den ver-
schiedensten Ä^arianten entwickelt hatte: es wird eine erfundene Ge-
schichte erzählt, die die Wahrheit zugleich offenbart und verhüllt. Es
ist wichtig, zu begreifen, das die von Plautus erfundene Szene diesem
weit verbreiteten Typ zuzuordnen ist. Es wäre höchst interessant, die
Abwandlungen dieses Szenentyps, der psychologisch überaus reiche
und dramatisch und erzählerisch überaus dankbare Möglichkeiten
bietet, von der Antike bis zur Moderne hin zu verfolgen, was bisher
nicht geschehen ist. Es gibt ja noch keine vergleichende Morphologie
des Theaters. Doch ist er keineswegs auf das Drama beschränkt und
sicherlich nicht dort entstanden. Er findet sich in den mannigfachsten
Formen der Erzählung, im Roman, in der Novelle, im Märchen, in
jeder Art von Rede, wo einer den Partner, den er anspricht, überfüh-
ren, belehren, bekehren oder ihn oder auch sich selbst schonen will.
Er entspringt dem Leben selbst, und wir können ihm jederzeit im All-
tag begegnen: ein Vorgang, eine Situation, ein Verhalten wird auf
eine fiktive Ebene verschoben, wobei eine reiche Skala psychologi-
scher Momente ins Spiel kommen kann.
Es sei mir gestattet, einige Varianten dieses Redetyps anzuführen,
um den großen morphologischen Zusammenhang zu erhellen, in dem
unsere Plautusstelle steht und um zugleich die Motive zu verdeutli-
chen, die in unserer Szene möglicherweise mitspielen.
Ein frühes Beispiel findet sich in einer der schönsten, an zarten
Nuancen reichen Szene der attischen Bühne, im <Ion> des Euripides,
wo sich der Dichter, wie schon Wieland hervorhob, als ein Meister
 
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