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Hans Armin Gärtner
verbaque provisam rem non invita sequentur.
qui didicit patriae quid debeat et quid amicis,
quo sit amore parens, quo frater amandus et hospes,
quod sit conscripti quod iudicis officium, quae
partes in bellum missi ducis, ille profecto
reddere personae seit convenientia cuique.
Aus beiden Stellen geht hervor, daß es darauf ankommt, einer jeden
<persona>, sei es der mythischen Gestalt, sei es den Gestalten des
täglichen Lebens, die ihnen zukommenden Reden und Taten zu
erdichten. Horaz spricht von <recte sapere> (309) und <scire> (316).
Auch in de officiis gibt es viele Stellen, die zeigen, daß es auf das
Merken, Beurteilen dessen, was sich ziemt, ankommt67.
1,14 Nec vero illa parva vis naturae est rationisque, quod unum
hoc animal sentit, quid sit ordo, quid sit quod deceat, in factis
dictisque qui modus.
1,110 Admodum autem tenenda sunt sua cuique, non vitiosa, sed
tarnen propria, quo facilius decorum illud, quod quaerimus,
retineatur.
1,114 acrem se et bonorum et vitiorum suorum iudicem praebeat.
1,133 si in omni re quid deceat exquirimus.
Grundsätzlich ist gegen L. Labowsky (16-20) einzuwenden, daß
sie unseren Dichtervergleich ohne Differenzierung mit den zwei
<personae> von § 107 zusammenbringt. Dort ist ohne Zweifel davon
die Rede, daß die Menschen wie Schauspieler Rollen spielen müssen.
Doch befinden wir uns dort im Gange der Darlegung schon in der
Anwendung (§ 100: <officium autem, quod ab eo ducitur ...>).
Im § 97 geht es um die Erkenntnis, welche Rolle das <decorum> in
unserem Leben spielen soll. Cicero sagt ja auch (§ 97 Anfang): «Wir
können glauben, daß dies so verstanden wird . . .».
Cicero spricht nicht vom Urteil der Menschen, wie er vom Urteil
der Dichter gesprochen hat. Worauf er eigentlich hinaus will, zeigt
der vorletzte Satz im § 99: Die Rolle der Gerechtigkeit ist es, den
Menschen kein Unrecht zu tun, die der Rücksichtnahme, keinen
Anstoß zu erregen, worin am meisten das Wesen des <decorum>
erkannt wird.
67 Im Hintergrund stehen wohl stoische Definitionen der Sophrosyne. Sie enthalten
ein Element der Wahl. Vgl. SVF 111,63, Fr. 262 und 111,65, Fr. 266
Hans Armin Gärtner
verbaque provisam rem non invita sequentur.
qui didicit patriae quid debeat et quid amicis,
quo sit amore parens, quo frater amandus et hospes,
quod sit conscripti quod iudicis officium, quae
partes in bellum missi ducis, ille profecto
reddere personae seit convenientia cuique.
Aus beiden Stellen geht hervor, daß es darauf ankommt, einer jeden
<persona>, sei es der mythischen Gestalt, sei es den Gestalten des
täglichen Lebens, die ihnen zukommenden Reden und Taten zu
erdichten. Horaz spricht von <recte sapere> (309) und <scire> (316).
Auch in de officiis gibt es viele Stellen, die zeigen, daß es auf das
Merken, Beurteilen dessen, was sich ziemt, ankommt67.
1,14 Nec vero illa parva vis naturae est rationisque, quod unum
hoc animal sentit, quid sit ordo, quid sit quod deceat, in factis
dictisque qui modus.
1,110 Admodum autem tenenda sunt sua cuique, non vitiosa, sed
tarnen propria, quo facilius decorum illud, quod quaerimus,
retineatur.
1,114 acrem se et bonorum et vitiorum suorum iudicem praebeat.
1,133 si in omni re quid deceat exquirimus.
Grundsätzlich ist gegen L. Labowsky (16-20) einzuwenden, daß
sie unseren Dichtervergleich ohne Differenzierung mit den zwei
<personae> von § 107 zusammenbringt. Dort ist ohne Zweifel davon
die Rede, daß die Menschen wie Schauspieler Rollen spielen müssen.
Doch befinden wir uns dort im Gange der Darlegung schon in der
Anwendung (§ 100: <officium autem, quod ab eo ducitur ...>).
Im § 97 geht es um die Erkenntnis, welche Rolle das <decorum> in
unserem Leben spielen soll. Cicero sagt ja auch (§ 97 Anfang): «Wir
können glauben, daß dies so verstanden wird . . .».
Cicero spricht nicht vom Urteil der Menschen, wie er vom Urteil
der Dichter gesprochen hat. Worauf er eigentlich hinaus will, zeigt
der vorletzte Satz im § 99: Die Rolle der Gerechtigkeit ist es, den
Menschen kein Unrecht zu tun, die der Rücksichtnahme, keinen
Anstoß zu erregen, worin am meisten das Wesen des <decorum>
erkannt wird.
67 Im Hintergrund stehen wohl stoische Definitionen der Sophrosyne. Sie enthalten
ein Element der Wahl. Vgl. SVF 111,63, Fr. 262 und 111,65, Fr. 266