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Henrich, Dieter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 1. Abhandlung): Identität und Objektivität: eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion ; vorgetragen am 9. November 1974 — Heidelberg: Winter, 1976

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45458#0021
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Identität und Objektivität

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tion ist aber grundsätzlich außerstande, auch noch jene Eigentümlich-
keiten eines Textes zu erfassen, kraft deren er vage und undeutlich
ist. Wenn ein Text mehrere Sachverhalte zugleich und in unbestimmter
Beziehung zueinander thematisiert, so heißt das nicht, daß er sie nur
vermengt und verwirrt. Er kann sachliche Beziehungen, die zwischen
ihnen wirklich bestehen, im Auge haben, ohne sie doch zu durch-
schauen. Das kann allerdings dazu führen, daß er Folgerungen zieht,
die sich einmal aus dem einen und dann aus einem anderen Aspekt der
Sache ergeben, ohne die Möglichkeit der Kontrolle über seine Ar-
gumente zu haben. So kann der Text schließlich auch zu Folgerungen
ohne sichtbare Begründung kommen oder in Fehlschlüsse hineingezogen
werden, ohne daß damit die gemeinte Sache und deren fundierende
Bedeutung für eine Theorie in Wahrheit schon kompromittiert wären.
Im Unterschied zur Erläuterung und zur genetischen Erklärung kann
die Rekonstruktion auf solche historische Theoriesituationen nicht
einmal anspielen. Sie kann sie bestenfalls global auf dem Negativ-
konto des zu interpretierenden Autors eintragen, auf dem alles nach
der Maßzahl des Abstands zu Buche schlägt, um den der rekonstruierte
Text hinter seiner Rekonstruktion zurückbleibt.
Ist aber ein Text seiner eigenen theoretischen Perspektive nicht
mächtig und darum auch nicht zu allen nötigen Distinktionen im-
stande, so können sich daraus Überlagerungen verschiedener Begrün-
dungsgänge in ein und derselben Sequenz von Sätzen ergeben. Die
Interpretation hätte allererst auszumachen, welcher von ihnen kon-
sistent gemacht werden kann und welcher auch in entfalteter Form
defekt bleibt. Mit Rücksicht auf den Gesamtbestand der Texte hätte
sie des weiteren abzuwägen, welcher Begründungsgang den Inten-
tionen am nächsten kommt, die der Autor im Sinne hatte, und in
welchem Maße er in einem gegebenen Text zur Dominanz kommt.
Indem sie all das leistet, bringt sie in einem den Text zur Transparenz
und sein theoretisches Potential zu voller Geltung.
Für solche Interpretationen ist die Umgangssprache ein Medium
von sehr begrenzter Leistungskraft. Für Theorien, die noch nicht zur
Deutlichkeit gekommen sind, hat die Umgangssprache den Vorteil
produktiver Vagheit. Man kann in ihr leicht verschiedene Gedanken-
züge in eine Formulierung einfließen lassen. Die Interpretation muß
aber deren Kopräsenz selbst noch deutlich bezeichnen können. Je
größer die implizit gebliebene Komplexion eines Textes ist, in um so
größere Schwierigkeiten wird der, der diese Komplexion verdeutlichen
will, durch die lineare Form seiner Interpretationssprache gebracht.
 
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