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II. OBJEKT UND URTEIL
Kants Theorie der Erkenntnis begründet bekanntlich die These, daß
wir Objekte der Erfahrung nur erkennen können, wenn wir Begriffe
gebrauchen und Grundsätze für allen Erfahrungsgebrauch voraus-
setzen, die selber nicht aus der Erfahrung abgeleitet werden können.
Diese Theorie behauptet weiterhin, daß sich die Notwendigkeit, die
solchen Begriffen und Grundsätzen innewohnt, aus der Verfassung
desjenigen Selbstbewußtseins begründen läßt, das Kant die «tran-
szendentale Einheit der Apperzeption» nennt.
Der Apriorismus dieser Lehre von den Bedingungen der Erfahrung
ist, gemäß ihrem Aufbau, zwei Einwänden ausgesetzt; jeder von ihnen
wäre, würde er überzeugen, für sich auch stark genug, die für Kant
charakteristische Position zu zerstören. Der eine Einwand bestreitet,
daß unsere Erkenntnis von Erfahrungsgegenständen unter irgend-
welchen Voraussetzungen steht, die nicht ihrerseits aus der Erfahrung
und aus deren von empirischen Bedingungen abhängiger Genesis be-
griffen werden können. Der andere Einwand stellt in Zweifel, daß
apriorische Voraussetzungen unserer Erkenntnis, sofern man sie über-
haupt zugestehen will, aus Aspekten gerade des Selbstbewußtseins
aufgeklärt werden könnten.
Jede Kantinterpretation, welche die Potentiale der Kantischen
Theorie ausschöpfen will, muß zu zeigen versuchen, welches die
stärksten Argumente sind, die sich solchen Einwänden im Rahmen
kantischer Prämissen entgegenstellen lassen. Sie muß weiter zeigen,
wie sich diese Argumente in Kants Texten geltend machen, die — wie
gesagt — an den entscheidenden Stellen entweder nur thetisch sprechen
oder bestenfalls Begründungen anzeigen und unterstellen, statt sie
auszuführen. Dies soll im folgenden zunächst für die Grundzüge von
Kants Lehre von der Objektivität und danach für seine Lehre vom
Selbstbewußtsein als einem Identitätsprinzip geschehen.
Kant nennt eine Untersuchung, welche eine Erfahrungserkenntnis
rechtfertigt, von der zuvor gezeigt ist, daß sie auf Prinzipien apriori
beruht, ihre «transzendentale Deduktion». Im folgenden sollen nur
deren wichtigste Prämissen erörtert werden3. Die Folgeordnung, in
3 Eine textnahe Untersuchung zum Aufbau des Beweisganges der Deduktion findet
II. OBJEKT UND URTEIL
Kants Theorie der Erkenntnis begründet bekanntlich die These, daß
wir Objekte der Erfahrung nur erkennen können, wenn wir Begriffe
gebrauchen und Grundsätze für allen Erfahrungsgebrauch voraus-
setzen, die selber nicht aus der Erfahrung abgeleitet werden können.
Diese Theorie behauptet weiterhin, daß sich die Notwendigkeit, die
solchen Begriffen und Grundsätzen innewohnt, aus der Verfassung
desjenigen Selbstbewußtseins begründen läßt, das Kant die «tran-
szendentale Einheit der Apperzeption» nennt.
Der Apriorismus dieser Lehre von den Bedingungen der Erfahrung
ist, gemäß ihrem Aufbau, zwei Einwänden ausgesetzt; jeder von ihnen
wäre, würde er überzeugen, für sich auch stark genug, die für Kant
charakteristische Position zu zerstören. Der eine Einwand bestreitet,
daß unsere Erkenntnis von Erfahrungsgegenständen unter irgend-
welchen Voraussetzungen steht, die nicht ihrerseits aus der Erfahrung
und aus deren von empirischen Bedingungen abhängiger Genesis be-
griffen werden können. Der andere Einwand stellt in Zweifel, daß
apriorische Voraussetzungen unserer Erkenntnis, sofern man sie über-
haupt zugestehen will, aus Aspekten gerade des Selbstbewußtseins
aufgeklärt werden könnten.
Jede Kantinterpretation, welche die Potentiale der Kantischen
Theorie ausschöpfen will, muß zu zeigen versuchen, welches die
stärksten Argumente sind, die sich solchen Einwänden im Rahmen
kantischer Prämissen entgegenstellen lassen. Sie muß weiter zeigen,
wie sich diese Argumente in Kants Texten geltend machen, die — wie
gesagt — an den entscheidenden Stellen entweder nur thetisch sprechen
oder bestenfalls Begründungen anzeigen und unterstellen, statt sie
auszuführen. Dies soll im folgenden zunächst für die Grundzüge von
Kants Lehre von der Objektivität und danach für seine Lehre vom
Selbstbewußtsein als einem Identitätsprinzip geschehen.
Kant nennt eine Untersuchung, welche eine Erfahrungserkenntnis
rechtfertigt, von der zuvor gezeigt ist, daß sie auf Prinzipien apriori
beruht, ihre «transzendentale Deduktion». Im folgenden sollen nur
deren wichtigste Prämissen erörtert werden3. Die Folgeordnung, in
3 Eine textnahe Untersuchung zum Aufbau des Beweisganges der Deduktion findet