Metadaten

Henrich, Dieter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 1. Abhandlung): Identität und Objektivität: eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion ; vorgetragen am 9. November 1974 — Heidelberg: Winter, 1976

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45458#0032
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
22

Dieter Henrich

Grundbegriffe von Verhältnissen* bedeutet. Vollständig sollen sie
in der Tafel der <Kategorien> angegeben sein. Kategorien als Funk-
tionen sind Hinsichten, unter denen sich die Synthesis gegebener
Vorstellungen zu Objekten vollzieht. Da sie aller Erfahrung voraus
angegeben werden können, ist zu vermuten, daß sie auch unabhängig
von allen Besonderheiten des Gegebenen und damit auch ohne Ein-
schränkung und in Beziehung auf alles gebraucht werden können, was
möglicherweise zur Gegebenheit kommt.
Solche Überlegungen, soweit sie nur die Zuordnung von Mannig-
faltigem und Synthesis nach bestimmten Verhältnisbegriffen betref-
fen, sind sicherlich korrekt aus Kants elementarsten Prämissen her-
geleitet. Dennoch sind sie für Kants eigentliches Beweisprogramm
ohne Schlußkraft. Nimmt man den Datensensualismus an, so ist auch
die Annahme einer synthetischen Aktivität des Bewußtseins unum-
gänglich geworden, die ihrerseits wiederum ohne Einheitsgesichts-
punkte, welche die Weise der Zusammensetzung festlegen, nicht zu
vollziehen ist. Diese Folgerungskette reicht zwar schon sehr weit,
läßt aber doch zweierlei noch ganz unentschieden: In ihr ist nicht
ausgemacht, ob die Beziehung auf Objekte nach Regeln der Synthesis
überhaupt mit Notwendigkeit erfolgt. Könnte es nicht sein, daß wir
uns zumindest zum Teil auf das Konstatieren von einfachen Daten
beschränkt fänden, die wir Regeln gar nicht unterwerfen können, weil
sie sich ihnen nicht fügen wollen? Und weiter bleibt auch für den Fall,
daß unsere Erkenntnis im Blick auf die Mannigfaltigkeit der Daten
Objekte zu erfassen vermag, noch immer die Möglichkeit offen, daß
wir die Regeln, gemäß denen wir solche Objekte denken, aus dem
faktischen Bestand der Erscheinungen selbst zu gewinnen haben. Es
hat sich zwar gezeigt, daß Objekte nicht intuitiv aufgenommen wer-
den können, woraus zu folgern war, daß sich ein Objektbezug nur in
einer Aktivität der Synthesis von Gegebenem herstellen läßt. Damit
ist aber noch nicht die weitergehende These begründet, daß auch die
Regeln der Zuordnung von Mannigfaltigem, welche die Grundstruk-
tur aller Objekte ausmachen, zusammen mit der Struktur der Syn-
thesisaktivität aller Erfahrung voraus und unabhängig von ihr fest-
stünden. Es bleibt denkbar, daß das, was in dieser Aktivität apriori
festgelegt ist, auf die Fähigkeit zur Exploration möglicher Gleich-
förmigkeiten und zur Ausbildung irgendwelcher Einheitsbegriffe ein-
geschränkt ist. Welche Gleichförmigkeiten sich finden und welche Ein-
heitsbegriffe infolgedessen entworfen werden können, bliebe empiri-
schen Umständen überlassen, — unter ihnen auch den faktischen Dis-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften