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Dieter Henrich
Gründe, welche wirklich dartun, daß Gegenstände singulären Charak-
ters für uns undenkbar sind. Sobald alle Bedingungen angegeben sind,
die für die Beziehung auf Objekte notwendig gelten, läßt sich ein
solches Beispiel nicht mehr konstruieren. Es kann weiterhin leicht
gezeigt werden, daß Gegenstände, die extensive Größen sind und
die als solche perzipiert werden, stets auch als komplex charakterisier-
bar aufgefaßt werden müssen. Das Beispiel hat nur die Aufgabe zu
erfüllen, deutlich zu machen, daß aus dem Begriff vom Urteil als
Begriffsverbindung allein jedenfalls kein Schluß gezogen werden kann,
der dahingeht, daß Objekte Komplexe von Eigenschaften sind.
Läßt sich das schon für den Fall des elementaren Subjekt-Prädikat-
satzes zeigen, so gilt um so mehr, daß man von der allgemeinen Natur
aller Subjekt-Prädikatsätze, Begriffsverbindungen zu sein, nur über
einen Fehlschluß zu der Folgerung gelangen kann, nur komplexe
Gegenstände seien überhaupt Gegenstände. Prädikationen kommen
nämlich auch dadurch zustande, daß einfache Eigenschaften klassi-
fiziert werden. So kann von dem Farbprädikat jenes privilegierten
Punktes im Gesichtsfeld gesagt werden, daß er den Rottönen zugehört,
die wiederum Farbtöne und des weiteren optische Phänomene sind.
Durch solche Prädikatenprädikate wird das klassifizierte Objekt nicht
zum komplexen Gegenstand. Dadurch, daß sich ein Begriff höherer
Ordnung als Prädikat in einem Urteil auf einen Begriff bezieht, der
unter ihm steht, und damit indirekt auf einen Gegenstand, ist über
die Form dieses Gegenstandes gar nichts ermittelt. In die Einleitung
zur metaphysischen Deduktion der Kategorien hat Kant Passagen auf-
genommen, die von diesem Mißverständnis affiziert zu sein scheinen
(A68/69).
Darin, daß Eigenschaften und Objekte mit ihren Eigenschaften
überhaupt klassifiziert werden können, ist allerdings ein Einheits-
zusammenhang unter unseren Begriffen vorausgesetzt. Diese Möglich-
keit setzt weiterhin voraus, daß Objekte nicht nur in jeweils aktualer
Erfahrung charakterisiert werden können. Wäre jedes Gegebene mit
allen anderen ganz unvergleichbar und wäre ein Gedanke, der für es
gilt, nur in seiner Gegenwart zu fassen, so wären Begriffe, die einem
Ordnungssystem zugehören, gar nicht zu erlangen. Unser Urteilen
wäre dann auf isolierte Prädizierungen einerseits und auf ein formales
Operieren andererseits beschränkt. Mit der Möglichkeit von Gedanken
über Gegebenes, welche über die elementarsten Aussagen hinausgehen,
ist also bereits sichergestellt, daß die Welt kein Chaos sein kann und
daß Erfahrung notwendig eine Regelmäßigkeit einschließt. Doch diese
Dieter Henrich
Gründe, welche wirklich dartun, daß Gegenstände singulären Charak-
ters für uns undenkbar sind. Sobald alle Bedingungen angegeben sind,
die für die Beziehung auf Objekte notwendig gelten, läßt sich ein
solches Beispiel nicht mehr konstruieren. Es kann weiterhin leicht
gezeigt werden, daß Gegenstände, die extensive Größen sind und
die als solche perzipiert werden, stets auch als komplex charakterisier-
bar aufgefaßt werden müssen. Das Beispiel hat nur die Aufgabe zu
erfüllen, deutlich zu machen, daß aus dem Begriff vom Urteil als
Begriffsverbindung allein jedenfalls kein Schluß gezogen werden kann,
der dahingeht, daß Objekte Komplexe von Eigenschaften sind.
Läßt sich das schon für den Fall des elementaren Subjekt-Prädikat-
satzes zeigen, so gilt um so mehr, daß man von der allgemeinen Natur
aller Subjekt-Prädikatsätze, Begriffsverbindungen zu sein, nur über
einen Fehlschluß zu der Folgerung gelangen kann, nur komplexe
Gegenstände seien überhaupt Gegenstände. Prädikationen kommen
nämlich auch dadurch zustande, daß einfache Eigenschaften klassi-
fiziert werden. So kann von dem Farbprädikat jenes privilegierten
Punktes im Gesichtsfeld gesagt werden, daß er den Rottönen zugehört,
die wiederum Farbtöne und des weiteren optische Phänomene sind.
Durch solche Prädikatenprädikate wird das klassifizierte Objekt nicht
zum komplexen Gegenstand. Dadurch, daß sich ein Begriff höherer
Ordnung als Prädikat in einem Urteil auf einen Begriff bezieht, der
unter ihm steht, und damit indirekt auf einen Gegenstand, ist über
die Form dieses Gegenstandes gar nichts ermittelt. In die Einleitung
zur metaphysischen Deduktion der Kategorien hat Kant Passagen auf-
genommen, die von diesem Mißverständnis affiziert zu sein scheinen
(A68/69).
Darin, daß Eigenschaften und Objekte mit ihren Eigenschaften
überhaupt klassifiziert werden können, ist allerdings ein Einheits-
zusammenhang unter unseren Begriffen vorausgesetzt. Diese Möglich-
keit setzt weiterhin voraus, daß Objekte nicht nur in jeweils aktualer
Erfahrung charakterisiert werden können. Wäre jedes Gegebene mit
allen anderen ganz unvergleichbar und wäre ein Gedanke, der für es
gilt, nur in seiner Gegenwart zu fassen, so wären Begriffe, die einem
Ordnungssystem zugehören, gar nicht zu erlangen. Unser Urteilen
wäre dann auf isolierte Prädizierungen einerseits und auf ein formales
Operieren andererseits beschränkt. Mit der Möglichkeit von Gedanken
über Gegebenes, welche über die elementarsten Aussagen hinausgehen,
ist also bereits sichergestellt, daß die Welt kein Chaos sein kann und
daß Erfahrung notwendig eine Regelmäßigkeit einschließt. Doch diese