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Henrich, Dieter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 1. Abhandlung): Identität und Objektivität: eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion ; vorgetragen am 9. November 1974 — Heidelberg: Winter, 1976

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https://doi.org/10.11588/diglit.45458#0041
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Identität und Objektivität

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Regelmäßigkeit besteht nur darin, daß in unabsehbarer Folge Er-
scheinungen auftreten, die es zulassen, irgendwelchen anderen Erschei-
nungen in natürlichen Klassen zugeordnet zu werden. Das ist aber
auch dann möglich, wenn sich niemals Regelmäßigkeiten im Ablauf
der Erscheinungen oder konstante Kombinationen von Daten beob-
achten lassen. Eine Welt, die kein Chaos ist, muß nicht auch schon eine
Welt von Dingen unter Gesetzen sein. Dann aber folgt aus der Klassi-
fizierbarkeit von Gegebenem erst recht nicht, daß die Regeln, welche
eine konstante Ordnung unter den Erscheinungen garantieren, sofern
es solche Regeln überhaupt gibt, aller wirklichen Erfahrung voraus
ausgemacht werden können.
Eine Argumentation, die sich in den Grenzen der platonischen
Vorstellung vom Urteil als Synthesis hält, reicht also nicht dazu hin,
irgendeinen der Zweifel zu eliminieren, die auf David Hume zurück-
gehen. Kann man nicht mehr über die besonderen Eigenschaften der
Synthesis im Urteil ausmachen, so könnten Urteile darauf beschränkt
bleiben, irgendwelche einfache Charaktere und Abfolgen von Emp-
findungen zu konstatieren. Ob diese Folgen unter Regeln stehen, hätte
offen zu bleiben; die Regeln, die wirklich zu entdecken wären, müßten
der Erfahrung entnommen werden.
3.3. Urteilssubjekt und Obj’ekt
Man muß deshalb auf einen dritten Aspekt der Urteilsform zurück-
kommen, den Kant neben dem Objektivitätsanspruch und dem for-
mellen Synthesischarakter gleichzeitig im Auge hat, wenn er das Urteil
als eine Handlung bezeichnet, durch die Vorstellungen zur Erkenntnis
von einem Objekt oder zur objektiven Einheit des Bewußtseins ge-
bracht werden. Freilich hat Kant diesen Aspekt in dem von ihm selbst
zum Druck gebrachten Werk niemals rein für sich und isoliert gegen
andere vorgetragen. Dennoch kann nur er seine Theorie der Objek-
tivität in der Weise, in der er sie konzipierte, zum Erfolg führen, —
nämlich so, daß sie sich durch «beinahe einen einzigen Schluß» als
Konsequenz aus der Form des Urteils gewinnen läßt.
(a) Urteile müssen nicht unmittelbar auf Gegebenheiten gehen. Sie
können Klassen von Gegenständen Prädikate zusprechen. Das aber
setzt voraus, daß auch über einzelne Gegenstände geurteilt werden
kann. Urteile können auch solchen Subjekten Prädikate zusprechen,
die selbst ursprünglich den Status von Prädikaten haben. Aber solche
nominalisierten Prädikate müssen ihrerseits in elementaren Aussagen
 
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