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Henrich, Dieter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 1. Abhandlung): Identität und Objektivität: eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion ; vorgetragen am 9. November 1974 — Heidelberg: Winter, 1976

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https://doi.org/10.11588/diglit.45458#0056
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Dieter Henrich

ausführliche und zum Teil auch neue Argumentationen ausgearbeitet1'.
Man könnte deshalb vermuten, daß auch die Ideen und Thesen zum
Zusammenhang von Urteilssubjekt und Objekt erst in dieser späten
Zeit zustandegekommen sind, — zumal sie in der Schrift von J. S. Beck,
welche Kants Bemühungen veranlaßte, eine Parallele haben18 und
zumal sie ähnlich ausführlich nirgends sonst in Kants Werk zu finden
sind. Es ist deshalb von Interesse, sicherzustellen, daß Kant der gleiche
Zusammenhang von der Zeit an vor Augen stand, als er die Kritik
der reinen Vernunft auszuarbeiten begann.
Schon in einer Objektdefinition aus der Zeit um 1775/76 ist er,
wenn auch unartikuliert, unterstellt: «Gegenstand ist nur ein Etwas
überhaupt, was wir durch gewisse Prädikate, die seinen Begriff aus-
machen, gedenken» (Reflexion 4634). Seit dieser Periode finden sich
Schriften des Herrn Prof. Kant> ausgelöst, der 1796 bei Hartknoch in Riga, dem
Verleger der <Kritik der reinen Vernunft>, herausgekommen war. Der dritte Band
hat den eigenen Titel <Einzig möglicher Standpunkt, aus welchem die critische
Philosophie beurteilt werden muß>. Er ist, vor allem in seinem ersten Teil, eine
selbständige Untersuchung Becks und eine Verteidigung der Kritik mit deren
Mitteln. Der Titel <Erläuternder Auszug . . .>, der für alle drei Bände gilt und
der auch im dritten Band erscheint, trägt mit Beziehung auf Kant den Zusatz
«auf Anrathen desselben». Beck war wirklich von Kant zur Veröffentlichung eines
Auszuges ermutigt worden. Nun aber konnte es scheinen, daß von Kant auch
seine selbständigen Erörterungen autorisiert seien. Der Hofprediger Schulz,
den Kant als besten Exegeten seiner Lehre öffentlich genannt hatte (Erklärung
gegen Schlettwein vom 29. Mai 1797), hatte Anstoß an Becks Argumentation
genommen. Kant muß Beck in einem verlorenen Brief daraufhin zur Veränderung
und zu einer Art Widerruf seiner Interpretation aufgefordert haben (Brief an
Tieftrunk vom 13. Oktober 1797). Beck schickte daraufhin an Kant lange philo-
sophische Erklärungen seines Standpunktes. Dazu ergab sich eine Korrespondenz
auch mit Becks Kollegen Tieftrunk und Jacob, die beide buchstabengetreuere
Kantianer waren. Da nunmehr auch Tieftrunk einen erläuternden Auszug aus
Kants Werk plante, empfing er und nicht Beck von Kant ausführlichere philo-
sophische Antwort auf seine Schreiben und Fragen.
Die Beziehung zwischen der Reflexion 6350 und Kants philosophischen Anstren-
gungen in diesem Zusammenhang wird durch eine Nennung des Namens von
Reinhold in der Reflexion wahrscheinlich gemacht. Zu so später Zeit ist Rein-
holds Name außerhalb des Briefwechsels nur noch einmal zu finden, und zwar
im Opus postumum und hier offenkundig im Kontext von Becks Brief vom
20. Juni 1797, in dem Beck <Retraktationen> seiner Standpunktlehre im Sinne
des «heiligen Augustin> ankündigt. Kant notiert im II. Band, Seite 154 des Opus
postumum: «. . . Augustini retractatio. Reinhold» (Vgl. auch G. Lehmanns Er-
läuterung zu der Stelle im selben Band, S. 817). In Becks drittem Band von 1797
wird Reinholds Theorie ausführlich kritisiert. Doch soll der Assoziationszusam-
menhang, der Kant von Becks möglicher Selbstkorrektur auf Reinholds Namen
bringt, hier nicht aufgeklärt werden.
17 In dem Anm. 3 zitierten Aufsatz sind Kants neue Überlegungen zur Methode
der Darstellung der transzendentalen Deduktion verdeutlicht worden.
18 Vgl. J. S. Beck, «Einzig möglicher Standpunkt . . .> a. a. O. S. 134.
 
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