Metadaten

Henrich, Dieter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 1. Abhandlung): Identität und Objektivität: eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion ; vorgetragen am 9. November 1974 — Heidelberg: Winter, 1976

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45458#0091
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Identität und Objektivität

81

So sehr auch die Annahme über Identität befremden mag, von der
dieses Argument ausgeht, — seine Schlußfolgerung ist zwingend. Der
Schritt, in dem es von der Konstanz des identischen Subjektes zur
konstanten Form der Verbindung übergeht, ist zwar aus ihm selbst
nicht zureichend zu begründen. Er wird aber unabweisbar, wenn
man bedenkt, daß andere und elementare Untersuchungen über das
Selbstbewußtsein schon festgestellt hatten, daß Verbindung die Weise
ist, in der das Subjekt auf das Bezug hat, was ihm gegeben wird.
Es ist auch legitim, eine konstante Form für die Verbindung als eine
Regel aufzufassen, welche im wirklichen Vorgang der Synthesis be-
achtet werden muß und stets beachtet wird. Kants Begriff von einer
Regel ist so gefaßt, daß er auch solche Bedingungsverhältnisse Regeln
nennt, die gar nicht verletzt werden können. «Nun heißt . . . die
Vorstellung einer allgemeinen Bedingung, nach welcher ein gewisses
Mannigfaltige (mithin auf einerlei Art) gesetzt werden kann, eine
Regel, und wenn es so gesetzt werden muß, ein Gesetz» (A 113). In
dieser Definition von Regel ist das normative Bedeutungsmoment,
demzufolge Regeln Anweisungen sind, die folglich auch müssen ver-
letzt werden können, nicht mehr grundlegend und aller Vermutung
nach sogar eliminiert. Eine solche Regel kann das konstante Muster
eines Bedingungsverhältnisses sein, das immer dann schon beachtet
ist, wenn das identische Subjekt mit wechselnden Inhalten in Be-
ziehung kommt34. In der Identität der Regel wäre die Möglichkeits-
bedingung dafür gelegen, daß das identische Subjekt in solche Rela-
tionen kommt. Deren Identität würde somit der Identität des Sub-
jektes entsprechen und von ihr abgeleitet sein.
Dennoch möchte man Kant nicht eine Beweisstrategie zusprechen,
welche das schwierige Problem, den Zusammenhang von Selbstbe-
wußtsein und Kategorien zu verstehen oder zu konstruieren, mit Hilfe
von einer Definition der Identität sozusagen in einem Handstreich
löst. Daß Identität nur so gefaßt werden kann, ist nicht einleuchtend
34 In diesem Bedingungsverhältnis findet sich eine Analogie zu der normativen
Komponente, welche die Bedeutung des Regelbegriffs in seiner normalen Ver-
wendung hat: Mannigfaltiges muß sich in die konstante Form der Subjektver-
bindung schicken, andernfalls kommt Bewußtsein in Beziehung auf dieses Mannig-
faltige nicht zustande. Da Bewußtsein aktives Prinzip der Verbindung ist, kann
dann gesagt werden, daß Verbindung in Beziehung auf dieses Mannigfaltige
verfehlt wird, obgleich es keinen Sinn macht zu sagen, daß die Regeln unrichtig
verwendet werden. Eine Klärung des Regelbegriffs, die solche Erweiterung seiner
Bedeutung zuläßt, gibt S. Cavell in «Must we mean what we say», New York
1969, S. 46 ff.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften