Metadaten

Henrich, Dieter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 1. Abhandlung): Identität und Objektivität: eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion ; vorgetragen am 9. November 1974 — Heidelberg: Winter, 1976

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45458#0094
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
84

Dieter Henrich

nen. Es mag zwar nötig sein, auf den cartesianischen Status des Selbst-
bewußtseins zurückzukommen, um seine Identität überhaupt sichern
zu können. Für die Weise aber, in der aus der Identität Folgerungen
gezogen werden, ist die Vergewisserungsweise der Identität ohne Be-
lang. Auch ein Subjekt, das uns aus Erfahrung bekannt ist und dem
wir aus irgendwelchen Gründen, etwa deshalb, weil Identität nur
strikte Identität meinen kann, strikte Identität zusprechen müssen,
würde, wäre es überhaupt Grund von Verbindungen, auch Ver-
bindungen in einer bestimmten, unwandelbaren Weise herstellen
müssen.
Damit ist nun zugleich ein Kriterium gewonnen, das über den
Erfolg der Analysen entscheiden kann, die noch ausstehen: Im fol-
genden müssen Deduktionen erprobt werden, welche vom Begriff
gemäßigter Identität ausgehen. Eine solche Deduktion wird aber nur
dann als Vorschlag zur Interpretation von Kants Gedanken ein-
leuchten, wenn sie sowohl auf die gemäßigte Identität des Selbst-
bewußtseins als auch auf die Apriorität der Gewißheit von ihm als auf
zwei unabhängige und unerläßliche Prämissen gegründet ist.
3.4. Gemäßigte Identität und Regel apriori
Man wird erwarten, daß die Zahl der Argumente in Beziehung auf
gemäßigte Identität größer ist als die, welche der Gedanke strikter
Identität zuläßt. Doch ist ihre Anzahl dadurch bereits weitgehend
reduziert, daß nunmehr ein Kriterium zur Verfügung steht, das aus-
sichtsreiche Argumente auszuwählen erlaubt. Argumente, die dieses
Kriterium nicht erfüllen, dürften eigentlich ganz übergangen werden.
Im folgenden werden dennoch zwei von ihnen wenigstens erwähnt,
und zwar deshalb, weil sie im Assoziationsgeflecht von Kants Texten
eine P<olle zu spielen scheinen (a., b.). Danach wird das einzige Argu-
ment vorgetragen werden (c.), welches das Kriterium ganz erfüllt.
(a) Es könnte scheinen, als sei ein Subjekt, das ausdrücklich von einer
Substanz unterschieden wird, als ein Einzelnes durch gar nichts anderes
zu charakterisieren als durch die Regeln, nach denen es agiert. Ein
Selbst muß aber aufgrund irgendwelcher konstitutiver Eigenschaften
ein bestimmtes Selbst sein. Ohne Regeln seiner Synthesis wäre es somit
schlechtweg undenkbar.
Dieser Begründungsversuch ist offenkundig haltlos. Denn für Kant
ist die Synthesis ihrerseits überhaupt nur denkbar, wenn sie in Be-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften