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Henrich, Dieter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 1. Abhandlung): Identität und Objektivität: eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion ; vorgetragen am 9. November 1974 — Heidelberg: Winter, 1976

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https://doi.org/10.11588/diglit.45458#0099
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Identität und Objektivität

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Identität denkt. Wo immer Übergang in einem solchen Subjekt statt-
findet, da muß er in diesen Modis erfolgen. Die Modi des Übergangs
sind notwendig kraft der Apriorität des Wissens vom Subjekt, die nach
Kant sogar allem Wissen von logischen Prinzipien vorausliegt (B134 A).
Unter solchen Umständen ist es nicht schwierig oder riskant, das
Wissen von den konstanten Bedingungen des Übergangs als ein Wissen
von Regeln zu interpretieren, die für alle möglichen Übergänge von
Zustand zu Zustand des Subjektes gelten. Eine Weise des Übergangs
zu definieren heißt die Bedingungen angeben, nach denen ein Zustand
durch einen anderen ersetzt wird. Es heißt weiterhin auch zu be-
stimmen, welche Zustände in Beziehung auf welche Zustände eintreten
können. Regeln müssen aber, wie schon gezeigt wurde, nicht stets auch
als Anweisungen aufgefaßt werden38. Auch in solchen Fällen, in denen
es unvermeidlich ist, daß Bedingungen erfüllt werden, weil ein Prinzip
apriori und somit der Vernunft ihre Erfüllung garantiert, ist der Be-
griff der Regel angemessen. «Nun heißt aber die Vorstellung einer
allgemeinen Bedingung, nach welcher ein gewisses Mannigfaltiges ge-
setzt werden kann, eine Regel, und wenn es so gesetzt werden muß,
ein Gesetz» (A 113). Diese Definition folgt übrigens mit veränderter
Anwendung der Baumgartens: «Propositio enuncians determinatio-
nem rationi conformem est norma (regula, lex)»39.
Es mag nun der Verdacht aufkommen, in den Gedanken vom
Modus von Übergängen seien bereits zu viele Implikationen geschoben
worden, die aus einem ganz formalen Prinzip gar nicht zu gewinnen
sind. Als Bedingung dafür, daß ein Begriff von der Identität des
Subjektes möglich wird, genüge bereits der bloße Gedanke einer
Sequenz von Zuständen; die Temporalität des Bewußtseins sei hin-
reichende Basis für den Gedanken von seinem identischen Subjekt.
In diesem Einwand ist zweierlei übersehen: Zum einen ist auch die
Zeitfolge, zumal die im Bewußtsein, ein Bedingungsverhältnis. Denn
eine Gegenwartsphase tritt nur durch das Verschwinden einer anderen
ein; und Bewußtsein von der Folge setzt, wie die Rekognitionsanalyse
zeigte, Beschreibungsmöglichkeiten für Vergangenes voraus. Zum
Zweiten hat man mit der Kantischen Position zu rechnen, daß die
Zeitfolge keine Implikation des Identitätssinnes des Subjektes ist.
Diese These ist nicht so absurd, wie es den Anschein haben mag.
Denn ohne Zweifel muß man nicht-temporale Abfolgen wie etwa
38 Vgl. oben S. 81.
39 Baumgarten, Metaphysica § 83.
 
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