Metadaten

Henrich, Dieter; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 1. Abhandlung): Identität und Objektivität: eine Untersuchung über Kants transzendentale Deduktion ; vorgetragen am 9. November 1974 — Heidelberg: Winter, 1976

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45458#0117
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Identität und Objektivität

107

das mögliche Resultat einer Synthesis zu denken. Der sachliche Zu-
sammenhang, der zwischen beiden Bedeutungen von Synthesis
herrscht, ist auch simplifiziert, wenn er als bloße Korrelation gefaßt
wird. Was diesen Zusammenhang ausmacht, wird durch die komplexe
Beweisführung der transzendentalen Deduktion verdeutlicht, die zu-
nächst auf die Identität des Subjekts, dann aber notwendig auch auf
seine Einfachheit Bezug zu nehmen hat.
Kant hat trotz seiner Tendenz, sich auf ein Argument zu be-
schränken, das nur die Einfachheit des Subjekts zugrundelegt, diese
Tendenz an entscheidenden Stellen seines Textes nicht wirksam werden
lassen. Ihr Ergebnis wäre sowohl die Simplifizierung seiner Theorie als
auch die Kraftlosigkeit ihres wichtigsten Beweises gewesen. Die Ten-
denz war aber doch stark genug, um zu verhindern, daß die tran-
szendentale Deduktion ganz ausdrücklich auf den Identitätsaspekt des
Selbstbewußtseins aufgebaut wurde. Hätte sich Kant jemals über den
Unterschied möglicher Beweisstrategien Rechenschaft geben können,
so hätte er sich vielleicht davon überzeugt, daß sein Theorieprogramm
von einigen Konnotationen befreit werden muß, die auch in der hier
interpretierten Stelle am Werke sind. Erst danach hätte er es unter
Einschluß der Gedanken, die in seinem Text als grundlegend und als
zureichend erscheinen, aber nicht einzig im Verlaß auf sie, zu einem
für alle erkennbaren Erfolg bringen können.
Da Kant zu solcher Rechenschaft nicht kam und da er angesichts
der Komplexion der neuen Problemlage zu ihr auch nicht kommen
konnte, treten im Text der Kritik Argumente in einer Dominanz und
manchmal sogar Exklusivität hervor, denen eine solche Rolle nicht
zukommt. Kant hat doch aber den komplexen Zusammenhang der
Prinzipien unserer Erkenntnis, den er entdeckt hatte, mit hinreichender
Kraft gegen solche Tendenzen geltend gemacht. Der Text der Kritik
nimmt in seinen Schlüsselpassagen deutlich auf die Prinzipien Bezug,
ohne die eine transzendentale Deduktion nicht gelingen kann, und be-
schreibt die Synthesis auf eine Weise, welche nur im Rekurs auf diese
Prinzipien zu rechtfertigen ist.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften