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Hölscher, Uvo; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 3. Abhandlung): Der Sinn von Sein in der älteren griechischen Philosophie: vorgetragen am 6. Februar 1971 — Heidelberg: Winter, 1976

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https://doi.org/10.11588/diglit.45460#0013
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11

I
Die Lehre des Parmenides läuft auf ein eklatantes Paradox hinaus, indem
sie besagt: was ist, kann weder entstehn noch vergehn, sich nicht verändern
oder bewegen; in sich selber einheitlich und identisch, läßt es keinerlei Vielheit
zu. Dies ewige, unbewegliche Seiende ist, als ein Eines, zugleich Alles im
Sinne des Ganzen. Parmenides beschreibt seine Gestalt daher als einen
ruhenden Ball von homogener Masse und stereometrischer Vollkommenheit.
Was dagegen wir als Welt sehen, die Vielheit der Dinge, sich bewegend und
regend im Wechsel der Farben und Formen, galt ihm für Irrtum.
Aristoteles, dessen ganzes Denken darauf aus war, die Welt gerade als
bewegte in ihrer Gesetzlichkeit zu verstehen, hat darum, in seiner Schrift
über Werden und Vergehen, diese Lehre einen Wahnsinn genannt:
Auf die Begriffe mag das zutreffen; aber von den wirklichen Dingen so zu
denken, kommt dem Aberwitz nahe. (I 8, 325 a 16)
Andererseits war Aristoteles Platoniker genug, um in der Natur, wenn
anders ihre Erkennbarkeit gerettet werden soll, gewisse Wesenheiten anzu-
nehmen, denen unvergängliches, und das heißt, immaterielles Sein zukommt.
Das parmenideische Paradox erklärt er daraus, daß «jene Männer zum
erstenmal Wesenheiten dieser Art erkannt hatten», aber «weil man annahm,
daß es außer dem Sein der sinnlichen Dinge nichts anderes gebe», «so haben
sie auf diese die Argumente von dorther übertragen» (De caelo III 1,
298b 19).
Nach dieser Erklärung hat Parmenides sich selber noch mißverstanden,
da er eigentlich den reinen Begriff des Seins im Auge hatte, wo er vom
Seienden spricht. Dessen Beschreibung als homogene Kugelmasse hätten wir
danach als Gleichnis zu verstehn: was darin in räumlichen Kategorien
ausgesagt ist, als Reste archaischer Sinnlichkeit, aus der sich das begriffliche
Denken erst eben mühsam losringt; so daß er selber noch von der Einheit
und Unveränderlichkeit des Seins auf Einheit und Unveränderlichkeit des
Seienden schloß.
Der Trugschluß des Parmenides wird jedoch in den neueren Interpre-
tationen meist in einer anderen Konfusion gesucht: in der Verwechslung von
prädikativem und existentialem Sein. Die Verwechslung wird verschieden
verstanden. Nach der einen Auffassung wäre Parmenides von der meta-
physischen Prämisse ausgegangen, daß Seiendes existiere; womit die ent-
gegengesetzte These, daß nichts existiere, von Anfang an ausgeschlossen
 
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