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Hölscher, Uvo; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 3. Abhandlung): Der Sinn von Sein in der älteren griechischen Philosophie: vorgetragen am 6. Februar 1971 — Heidelberg: Winter, 1976

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https://doi.org/10.11588/diglit.45460#0015
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13

II
Auf die aristotelische Unterscheidung der Bedeutungen von sein und ihre
Rolle in der Parmenides-Kritik hat schon Calogero zurückgegriffen. Eude-
mos, den Simplicius auf Seite 115, 28 ff. seines Physikkommentars zu der
antieleatischen Polemik des Aristoteles zitiert, hatte die parmenideische
Reduktion des Seienden auf die absolute Einheit damit erklärt, daß die
Begriffe «damals noch nicht geklärt waren, denn es hatte noch niemand
die mehrfache Bedeutung von sein zur Sprache gebracht noch den Unterschied
von per se und per accidens». Es sind die von Aristoteles eingeführten Unter-
scheidungen. Welches sind die Bedeutungen, deren Unterschied nach Eudemos
dem Parmenides entgangen wären?
Calogero nimmt es für selbstverständlich, daß es sich um die «Unter-
scheidung zwischen dem Sein der Kopula und dem Sein der Existenz» handle
(S. 4). Denn darauf ziele Aristoteles in jenem Kapitel der Metaphysik, Δ 7,
wo er die mehrfachen Bedeutungen des Seienden behandelt, mit der Unter-
scheidung zwischen όν κατα συμβεβηκος und όν καθ’ αύτο. Dies darf be-
zweifelt werden.
Ich gehe im folgenden davon aus, daß der aristotelischen Unterscheidung in Δ 7
eine Einteilung in drei Bedeutungspaare zugrunde liegt, wie sie Kurt v. Fritz in
seinem Aufsatz über den «Ursprung der aristotelischen Kategorienlehre» festgestellt
hat (Arch. f. Gesch. d. Phil. XL 455-7). Diese Auffassung ist nicht unbestreitbar,
da Aristoteles in E 2, wo er offenbar dieselbe Unterscheidung im Auge hat, nicht
dieselbe Gruppierung vornimmt. Auch stellt das zweite Paar, Sein als Wahr- oder
Falsch-sein, nicht eigentlich zwei verschiedene Bedeutungen von sein dar, sondern
nur eine und deren Negation. Die Einteilung ist jedoch zu akzeptieren, wenn es
zutrifft, daß Aristoteles in Δ 7 je zwei gegensätzliche und einander ausschließende
Verwendungen von sein zu Paaren ordnet, die ihrerseits einander nicht ausschließen.
(Das akzidentale Sein, oder das potentielle Sein, können zugleich als Wahr-sein
ausgesprochen werden.) Dies setzt freilich voraus, daß auch die beiden ersten
Bedeutungen δν κατα συμβεβηκος und δν καθ’ αύτο ein Paar in dem genannten
Sinne darstellen. Calogero würde in ihnen den — nicht kontradiktorischen — Gegen-
satz von prädikativem (kopulativem) und absolutem Sein erblicken. Um die Prü-
fung dieser Auffassung geht es zunächst.
Kein Zweifel scheint möglich über die Bedeutung des ersten: des δν κατα
συμβεβηκος als des akzidentalen Seins, dessen prädikativer Charakter sich
notwendig in der kopulativen Form darstellt. Allerdings werden im letzten
Kapitel des selben Buches (Δ 30) zwei Bedeutungen von συμβεβηκος unter-
schieden, und die Entscheidung darüber, wie sich zu diesen beiden Bedeu-
tungen das όν κατα συμβεβηκος in Δ 7 verhalte, ist mitentscheidend für
das όν καθ’ αύτο, die zweite Bedeutung von sein. Συμβεβηκος bedeutet in
erster Linie das Akzidentale im strikten Sinn des «Zufälligen» (αίτιον το
τυχόν 1025 a 25). Daneben kann es auch das «Zukommende» bezeichnen,
 
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