34
Uvo Hölscher
Was bedeuten die beiden «Formen», καθ’ αύτο und προς άλλα? Frede
hat die theoretischen Möglichkeiten der Übersetzungen auseinandergelegt
(Seite 12—28):
A: των οντων τα μεν — τα δε meint das, was ausgesagt wird, also Prädikate,
in einer vollständigen Disjunktion in zwei Gruppen unterschieden.
B: τα μεν — τα δε meint das, was ausgesagt wird, των οντων das, wovon es
ausgesagt wird; also die möglichen Prädikate und ihre Subjekte (τι κατα τίνος).
C: των οντων τα μεν — τα δε meint das, wovon etwas ausgesagt wird; also die
Gesamtheit der Gegenstände als Subjekte.
Die Möglichkeiten A und B werden von Frede ausgeschieden, die Möglichkeit C
wiederum nach zwei möglichen Auffassungen geteilt:
1. των οντων τα μεν — τα δε meint die Gegenstände (als Subjekte), dagegen
αύτα καθ’ αύτα und προς άλλα die möglichen Prädikate («die einen Dinge
sind selbständig, die anderen sind relativ»"). Dagegen wendet er mit Recht ein,
daß προς άλλα und αύτα καθ’ αύτα nicht wie Eigenschaften von Dingen be-
handelt werden können, sondern die Art und Weise bezeichnen, in der ein
Prädikat von einem Gegenstand ausgesagt wird, bzw. in der eine Eigenschaft
einem Gegenstand zukommt (Seite 24).
2. Da also die Stelle des Prädikats leer bleibe, müssen Prädikate ergänzt werden.
Das zu Ergänzende wäre aus 255 d 6 zu entnehmen: «Alles was verschieden ist,
ist das, was es ist (nämlich verschieden) mit Bezug auf ein Anderes». So daß
der Satz heißen würde:
«Von dem Seienden wird das eine mit Bezug auf sich selbst, das andere mit
Bezug auf etwas anderes seiend genannt» (Seite 28).
Das ergänzte «seiend» wird nun zum Angelpunkt der Interpretation: «ist» wird
von Gegenständen in zweierlei Weise ausgesagt: a) in bezug auf sie selbst, b) in
bezug auf etwas von ihnen Verschiedenes.
a) Als das Sein eines Dinges in bezug auf es selbst wird das ist der Definition
verstanden (unter bestimmten Voraussetzungen auch das der Gattungsaussage).
Dieses sein kommt also nur den Formen (ε’ιδη) zu.
b) Das Sein eines Gegenstandes in bezug auf etwas von ihm Verschiedenes
erkennt Frede in verschiedenen Fällen:
b 1) von Formen: «der Mensch ist in Ruhe» — nicht qua Mensch, sondern «in
bezug auf» sein Form-sein; oder «Bewegung ist verschieden von Ruhe», nicht
qua Bewegung, sondern als diese Form «in bezug auf» eine andere Form. (Hieraus
würde beiläufig klar, daß die Form des Verschiedenen immer nur die Verwen-
dung des «ist in bezug auf etwas anderes» zuläßt.)
b 2) von Einzeldingen: sie sind das, was sie sind, immer nur «in bezug auf»
die Formen (wobei «das, was sie sind», sowohl Wesen wie Eigenschaft meinen
kann; Seite 33 f.).
(Mir scheint, daß «in bezug auf» hier dreimal ganz Verschiedenes bedeutet.)
Geht man demnach davon aus, daß Einzeldinge immer nur «in bezug auf
Formen» etwas sind — nämlich eben das mit den Formen Prädizierte —, anderer-
seits nur die Formen «in bezug auf sie selber» sind — nämlich sie selber —, so
läßt sich mittels der zweierlei Bezogenheit von sein (das als ein «relatives» jeden-
Uvo Hölscher
Was bedeuten die beiden «Formen», καθ’ αύτο und προς άλλα? Frede
hat die theoretischen Möglichkeiten der Übersetzungen auseinandergelegt
(Seite 12—28):
A: των οντων τα μεν — τα δε meint das, was ausgesagt wird, also Prädikate,
in einer vollständigen Disjunktion in zwei Gruppen unterschieden.
B: τα μεν — τα δε meint das, was ausgesagt wird, των οντων das, wovon es
ausgesagt wird; also die möglichen Prädikate und ihre Subjekte (τι κατα τίνος).
C: των οντων τα μεν — τα δε meint das, wovon etwas ausgesagt wird; also die
Gesamtheit der Gegenstände als Subjekte.
Die Möglichkeiten A und B werden von Frede ausgeschieden, die Möglichkeit C
wiederum nach zwei möglichen Auffassungen geteilt:
1. των οντων τα μεν — τα δε meint die Gegenstände (als Subjekte), dagegen
αύτα καθ’ αύτα und προς άλλα die möglichen Prädikate («die einen Dinge
sind selbständig, die anderen sind relativ»"). Dagegen wendet er mit Recht ein,
daß προς άλλα und αύτα καθ’ αύτα nicht wie Eigenschaften von Dingen be-
handelt werden können, sondern die Art und Weise bezeichnen, in der ein
Prädikat von einem Gegenstand ausgesagt wird, bzw. in der eine Eigenschaft
einem Gegenstand zukommt (Seite 24).
2. Da also die Stelle des Prädikats leer bleibe, müssen Prädikate ergänzt werden.
Das zu Ergänzende wäre aus 255 d 6 zu entnehmen: «Alles was verschieden ist,
ist das, was es ist (nämlich verschieden) mit Bezug auf ein Anderes». So daß
der Satz heißen würde:
«Von dem Seienden wird das eine mit Bezug auf sich selbst, das andere mit
Bezug auf etwas anderes seiend genannt» (Seite 28).
Das ergänzte «seiend» wird nun zum Angelpunkt der Interpretation: «ist» wird
von Gegenständen in zweierlei Weise ausgesagt: a) in bezug auf sie selbst, b) in
bezug auf etwas von ihnen Verschiedenes.
a) Als das Sein eines Dinges in bezug auf es selbst wird das ist der Definition
verstanden (unter bestimmten Voraussetzungen auch das der Gattungsaussage).
Dieses sein kommt also nur den Formen (ε’ιδη) zu.
b) Das Sein eines Gegenstandes in bezug auf etwas von ihm Verschiedenes
erkennt Frede in verschiedenen Fällen:
b 1) von Formen: «der Mensch ist in Ruhe» — nicht qua Mensch, sondern «in
bezug auf» sein Form-sein; oder «Bewegung ist verschieden von Ruhe», nicht
qua Bewegung, sondern als diese Form «in bezug auf» eine andere Form. (Hieraus
würde beiläufig klar, daß die Form des Verschiedenen immer nur die Verwen-
dung des «ist in bezug auf etwas anderes» zuläßt.)
b 2) von Einzeldingen: sie sind das, was sie sind, immer nur «in bezug auf»
die Formen (wobei «das, was sie sind», sowohl Wesen wie Eigenschaft meinen
kann; Seite 33 f.).
(Mir scheint, daß «in bezug auf» hier dreimal ganz Verschiedenes bedeutet.)
Geht man demnach davon aus, daß Einzeldinge immer nur «in bezug auf
Formen» etwas sind — nämlich eben das mit den Formen Prädizierte —, anderer-
seits nur die Formen «in bezug auf sie selber» sind — nämlich sie selber —, so
läßt sich mittels der zweierlei Bezogenheit von sein (das als ein «relatives» jeden-