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Hölscher, Uvo; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1976, 3. Abhandlung): Der Sinn von Sein in der älteren griechischen Philosophie: vorgetragen am 6. Februar 1971 — Heidelberg: Winter, 1976

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https://doi.org/10.11588/diglit.45460#0040
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Uvo Hölscher

Form gebracht werden «das "Weiße ist an Sokrates». Indem das Prädikat
an die Subjektstelle rückt, wird auch das ist grammatisch anders gebraucht.
Hat sich aber sein Sinn damit verändert?
Es scheint, als dürften wir das konverse ist durch «existieren», «statt-
finden», «der Fall sein» oder «wahr-sein» wiedergeben. «Bewegung ist», hieß
es 256 a 1 unter Berufung auf 249/50, wo das Sein der Bewegung zuerst
festgestellt worden war: es war dort aus der Einsicht gewonnen, daß die
«Ousia» (das Seiende!) selber ein Bewegtes sei: also sei Bewegung seiend.
So faßt Platon das Seiende bald auf der Gegenstands-, bald auf der
Prädikatsseite, ohne den Versuch zu machen, es zwischen beiden anzusiedeln.
Es ist darum bereits bedenklich, das Seiende in seine verbale Form
«... ist . . .» zu transponieren. Richtiger, platonischer, ist die Reduktion des
«ist» auf das Seiende. Έστι δε γε δια το μετεχειν του όντος: so entspricht es
der ontologischen Denkweise Platons, nach der das Seiende Form ist. Die
Stelle des kopulativen ist nimmt bei Platon die Methexis ein: das ist oftmals
gesagt worden, mit dem Versuch, Platons Unterscheidung des kopulativen
ist darin zu fassen, daß es durch μετεχειν ersetzt werden kann. Aber μετεχειν
ersetzt auch das «existentiale» ist: wie der eben zitierte Satz beweist. Seiend
ist sowohl die Bewegung wie die Ruhe durch Teilnahme am Sein, ουσίας
κοινωνίαν (250 b 9), als der Form, die beide umfaßt. Als das Umfassende
verbindet es gerade nicht {ist kann nicht zwischen beide treten). Und da das
Sein alle Formen umfaßt, kann es für die «Dialektik» der möglichen,
notwendigen oder unmöglichen Verbindungen (συμπλοκή) der Formen, die
über die Bildung wahrer oder falscher Sätze entscheidet, keine Rolle spielen.
Der konverse Gebrauch von «ist» zeigt die Bedeutung des prädikativen
Seins an, indem er es in ein «absolutes» verwandelt. Sein bedeutet das
Wirklich-sein eines Begriffs, wie er im Prädikat eines Satzes vorliegt.
Das gilt aber ebenso für das sogenannte existentiale Sein. «Existenz» ist
insofern eine unzulängliche Wiedergabe, als nicht das Vorkommen von etwas
(«es gibt») ausgesprochen ist, sondern: daß es ein Seiendes ist, das sein Wesen
hat. Mit Recht hat darum Frede (Seite 45) für Platon die Reduktion des
Existenzbegriffs auf den Wesensbegriff vorgenommen: es ist dasselbe, ob ich
sage: das Nicht-seiende ist (als eines, «das seine eigene Natur hat», 258 b 10)
oder: das Nicht-seiende ist nicht-seiend. Etwas ist, weil es das ist, was es ist. —
Jedoch in der weiteren Analyse dieser einfachen Wesensbestimmtheit in ein
Zweifaches, wonach «das Seiende von der Form in bezug auf den Begriff,
das heißt sie selbst ausgesagt wird» (Seite 45), sehe ich eine Rückübertragung
aristotelischer Ontologie auf Platon.
Es ist nicht zu verkennen, daß Platon, mit der Bestimmung des Logos
als das Sagen eines Seienden περί τίνος, das aristotelische Verständnis des
Seins als τι κατα τίνος vorbereitet. Ein Satz ist wahr oder falsch als ein
τίνος λογος; «du sitzest» ist «deine Bestimmung», σος λογος. Doch das
Sein wird als Gestalten gedacht: die zueinander in Beziehung treten, aber
je etwas Einfaches sind.
 
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