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Hommel, Hildebrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1978, 2. Abhandlung): Bocksbeutel und Aryballos: philologischer Beitrag zur Urgeschichte einer Gefäßform ; vorgetr. am 9. Juli 1977 — Heidelberg: Winter, 1978

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https://doi.org/10.11588/diglit.45468#0014
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Hildebrecht Hommel

die Mehrzahl der Deutungen des Phänomens, soweit ihnen überhaupt
ein gewisser Anspruch auf Glaubhaftigkeit zukommt23. Nun gibt es
in der Tat, worauf mich Herbert Cahn freundlich zuerst hingewiesen
hat, in der Antike in archaischer Zeit aus Rhodos, Korinth und Etrurien
Tongefäße zwischen 6 und 13 cm Höhe mit einer ganz entfernt dem
Bocksbeutel vergleichbaren Form und mit symbolischem, bisher meist
als apotropäisch angesprochenem Charakter, die jedoch den mensch-
lichen (übrigens nicht erigierten) Phallos mitsamt dem Scrotum nach-
ahmen (Abb. 2)24. Und ihre Drastik geht weit über die des <Bocks-
beutels> hinaus, bei dem überdies an irgendwie vergleichbare Symbolik
nicht gedacht werden darf, und schon gar nicht an eine apotropäische
Wirkung — eher doch wohl an ihr Gegenteil! Jetzt macht mir Erika
Simon liebenswürdigerweise noch eine reichillustrierte Neuerscheinung
zugänglich, die als knappe Monographie jener Gattung gelten kann25.
Der dänische Verfasser stellt fest, daß diese Gefäße, die er Aidoion-
vasen nennt, im Blick auf andere von vergleichbarer Größenordnung,
vor allem wegen ihres geringen Volumens und der nur sparsames Aus-
gießen gestattenden engen Öffnung am oberen Ende, zur Aufbe-
wahrung kostbaren Öles gedient haben müssen, wie es in der Palästra
Verwendung fand. Er leitet daraus und aus dem betont erotischen
Charakter ihrer Form die einleuchtende Vermutung ab, daß man in
ihnen Liebesgeschenke erblicken dürfe, wie sie der Liebhaber seinem
jungen Freund verehrt hat oder auch umgekehrt26.
23 So heißt es noch bei W. Betz in der neuesten Auflage von Pauls Wörterbuch
(a. O.) «Bocksbeutel . .. eine Flaschenart, die wegen ihrer Ähnlichkeit mit dem
Hodensack eines Bockes so benannt ist».
24 Siehe H. Herter, Artikel <Phallos> in Pauly-Wissowa’s RE XIX 1938, Sp. 1742,
und neuerdings auch Jean Ducat, Les vases plastiques rhodiens archäiques . . .
1966, S. 146—148 u. 222 mit Taf. 22. Einige wenige der bekannten Exemplare
stammen auch aus Sizilien und aus Athen. Ausgangsgebiet für die Form dürfte
der Ostmittelmeerraum und Korinth sein.
25 Fleming Johansen, En ostgraesk parfumeflaske fra 6. aarh. f. Kr. In: Meddelelser
fra Ny Carlsberg Glyptotek. Kopenhagen 33. 1976, S. 85—108 mit 39 Abbildun-
gen. Es werden 17 Exemplare der Gattung besprochen und im Bild gezeigt.
26 F. Johansen a. O. 85. 102 f. Ein Exemplar aus Athen (S. 97 f. u. 103, m. Abb. 30)
zeigt überdies aufgemalt eine entsprechende homoerotische Liebesszene sowie
eine Inschrift mit Anspielung auf Priapos. Wenn der Verfasser S. 102 ff. außer-
dem die Vermutung ausspricht, die Aidoionvasen könnten von den Frauen des
der Demeter geweihten Haloa-Festes (um die Zeit der Wintersonnenwende mit
ausgesprochenem Fruchtbarkeitsritual) verwendet worden sein, so hat das in den
von dem Fest zeugenden Quellen keinerlei Anhalt (vgl. dazu L. Deubner, Attische
 
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