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Kullmann, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1979, 2. Abhandlung): Die Teleologie in der aristotelischen Biologie: Aristoteles als Zoologe, Embryologe und Genetiker. Vorgelegt von Werner Beierwaltes am 21. Oktober 1978 — Heidelberg: Winter, 1979

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https://doi.org/10.11588/diglit.45473#0029
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Die Teleologie in der aristotelischen Biologie 27 ■
ist nur als dativus commodi verständlich. Hier muß mit „für etwas“
(tivi) das Subjekt gemeint sein, für das irgend etwas zweckmäßig sein
soll48. Diese Auffassung geht zwar von einer unterschiedlichen sprach-
lichen Deutung beider Formeln aus, stimmt aber sachlich bestens mit
den Vorstellungen des Aristoteles zusammen. Gott ist „Zweck, Ziel von
etwas“ (ob evekü Tivog). Der „erste Himmel“ (die Fixsternsphäre) ist
nämlich auf ihn hin als Telos ausgerichtet. Gott ist dagegen nicht „Zweck,
Ziel für etwas“ (ob evekü tivi), ein Zweck, für den es einen Nutzen dar-
stellt, wenn etwas auf ihn ausgerichtet ist; denn die Gottheit ist, wie z. B.
in diesem Zusammenhang ausdrücklich in E.E. 0 3.1249 b 16 gesagt
ist, keiner Sache bedürftig. Umgekehrt liegt der Fall an der Stelle der
„Physik“. Für die Materialien der Technik ist „irgendwie“ der Mensch
Telos, ohne daß sie primär auf den Menschen ausgerichtet sind
(Telos, Zweck „des“ Erzes ist nicht das dem Menschen nützende Stand-
bild). Aber sie sind zu seinem Vorteil. Entsprechend ist die Politikstelle
zu interpretieren: Für die Tiere ist irgendwie der Mensch das Telos;
freilich nicht so, daß dies in ihnen so angelegt ist, sondern nur subjektiv
vom Menschen her gesehen. Es fehlt jedes primäre Ausgerichtetsein der
Tiere auf den Menschen.
Wie steht es nun aber im Hinblick auf diese Distinktion mit der
Teleologie im Bereich des Organischen? In den biologischen Schriften
im engeren Sinne (von De anima sei also abgesehen) fehlt jeder Hin-
weis darauf. Auf keinen Fall kann dort allein an den „Zweck für etwas“
(ob evekü tivi) gedacht sein. Denn anders als die Materialien, die nicht
von vornherein auf das Produkt der Techne bezogen sind, so sehr dieses
Produkt auf sie angewiesen ist, sind die Organe ihrem Wesen nach strikt
auf die Funktionen ausgerichtet, die sie erfüllen sollen. Wenn aber nicht
allein an den „Zweck für etwas“ (ob evekü tivi) gedacht sein kann,
wird auch noch an den „Zweck von etwas“ (ob evekü Ttvog) gedacht
sein49. Offenbar ist in der Biologie die Finalität unproblematisch. Beide
Arten von „Zweck, Ziel“ (ob eveko.) scheinen miteinander verbunden.
Der Zweck der Organe liegt letztlich im Wesen des betreffenden Lebe-
wesens bzw. im Vollzug seiner seelischen Kräfte. Insofern ist das Leben
des Lebewesens (bzw. seine seelischen Funktionen) der Zweck (ob evekö)
der Organe; zugleich tragen die Organe auch zum Leben des Lebe-
wesens bei; dieses hat von den Körperorganen her einen Nutzen, es ist
insofern „Zweck für etwas“ (ob evekü tivi).
48 So auch Gaiser a.a.0.99.
49 Das schließt natürlich eine Deutung des oö evskcx Tivog als „normatives“ Telos

aus.
 
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