10
Hildebrecht Hommel
kleinasiatischen Vorgebirge Sigeion10 bestimmt war; über diesen Stütz-
punkt verfügten in der Frühzeit des Dichters noch unbestritten seine
Mitbürger, die Mytilenaier, während er erst zu Beginn des 6. Jahr-
hunderts nach harten Kämpfen von den Athenern in Besitz genommen
wurde.11 Dem Alkaios und seinen Landsleuten muß es nach dem Wort-
laut des Fragments ganz geläufig gewesen sein, daß der dort bestattete
Heros zugleich auch an den Gestaden des Pontos göttliche Verehrung
genoß.12 Ja, diese Kulttatsache schien von so überragender Bedeutung,
daß Alkaios seinen offenbar für Sigeion bestimmten Hymnos mit der
Anrufung des Achill im fernen Meer begann. Wir entnehmen also die-
sem einzigartigen Zeugnis, daß die Verbindung des Achilleus mit dem
Schwarzen Meer bereits Ende des 7. Jahrhunderts bestanden haben
muß, demnach wohl kaum erst sekundär aus der Berühmtheit des ho-
merischen Helden herausgesponnen sein kann.13
10 Escher RE I (1894) 239f. ohne Hinweis auf Alkaios. Siehe dagegen W. Schmid, Ge-
schichte der griechischen Literatur I 1929, S. 4132.
11 G. Busolt, Griechische Geschichte II (1895) 249ff. Ed. Meyer, Gesch. des Altertums
II (1893) 644f. H. Bengtson, Griech. Gesch. s1977, 12 If. Alkaios war bekanntlich an
diesen Kämpfen selber beteiligt, s. W. Schmid a.O. Daß die Mytilenaier überhaupt
erst am Ende des 7. Jhs., als sie mit Athen Krieg führten, das Grab des Achilleus am
Sigeion lokalisiert hätten, hat E. Bethe, Homer ... 3. 1927, S. 75f. angenommen. Dann
könnte im Sinn der oben im Text ausgesprochenen Vermutung der Achilleus-Hymnos
des Alkaios diesen Kultakt begleitet haben.
12 Zu erschließen aus dem ό μέδεις c. gen.; s. dazu gleich unten i. Text. Daß Alkaios «auf
das heroische Herrschertum des Achilleus im Gebiet des Pontos» anspiele, entspricht
wohl der landläufigen Meinung, wie sie R. Hampe und E. Simon, Griechische Sagen
in der frühen etruskischen Kunst (1965) S. 62 formuliert haben.
13 Die gleiche Auffassung vertritt mit Entschiedenheit schon Fr. Pfister, Der Reliquien-
kult im Altertum (1909-12), Nachdruck 1974, S. 537. Trotzdem wird an jener gegen-
teiligen These bis heute immer wieder festgehalten, so von Belin de Ballu, Olbia ...
1972, S. 79 ob., der von einem «heros divinise» spricht. Vorsichtiger drückt sich W.
Burkert aus (Griech. Religion der archaischen und klassischen Epoche 1977, S. 267),
nach dem des Achilleus Verehrung als Pontarches auf der Insel Leuke u.a. «mit seiner
durchs Epos begründeten Popularität» Zusammenhängen soll. Entschiedener und
richtiger S. 314: diese Verehrung «läßt sich nicht aus der Ilias ableiten». Burkert
denkt an die Mutter Thetis als eigentliches Aition dieses Kultes (ähnlich schon Diehl
RE Sp. 11, Z. 5 ff.). Man könnte auch Achills, des <Aiakiden>, Großvater, den Zeus-
sohn Aiakos, in diesem Zusammenhang bemühen, wie es z.B. P. Von der Mühll en
passant getan hat: Der große Aias (1930), jetzt in: Ausgewählte kleine Schriften 1976
(S. 435ff.), hier S. 45349. Sowohl bei Aias wie bei Achilleus findet Von der Mühll gött-
liche Züge genug, spricht aber im Bann der herkömmlichen Anschauungen dabei stets
von «Heroen des Glaubens» u.ä. (s. bes. S. 469ff.), so daß er genötigt ist, die homeri-
schen Heroen als «heroische Menschen» oder «Heldengestalten» von jenen <echten>
Hildebrecht Hommel
kleinasiatischen Vorgebirge Sigeion10 bestimmt war; über diesen Stütz-
punkt verfügten in der Frühzeit des Dichters noch unbestritten seine
Mitbürger, die Mytilenaier, während er erst zu Beginn des 6. Jahr-
hunderts nach harten Kämpfen von den Athenern in Besitz genommen
wurde.11 Dem Alkaios und seinen Landsleuten muß es nach dem Wort-
laut des Fragments ganz geläufig gewesen sein, daß der dort bestattete
Heros zugleich auch an den Gestaden des Pontos göttliche Verehrung
genoß.12 Ja, diese Kulttatsache schien von so überragender Bedeutung,
daß Alkaios seinen offenbar für Sigeion bestimmten Hymnos mit der
Anrufung des Achill im fernen Meer begann. Wir entnehmen also die-
sem einzigartigen Zeugnis, daß die Verbindung des Achilleus mit dem
Schwarzen Meer bereits Ende des 7. Jahrhunderts bestanden haben
muß, demnach wohl kaum erst sekundär aus der Berühmtheit des ho-
merischen Helden herausgesponnen sein kann.13
10 Escher RE I (1894) 239f. ohne Hinweis auf Alkaios. Siehe dagegen W. Schmid, Ge-
schichte der griechischen Literatur I 1929, S. 4132.
11 G. Busolt, Griechische Geschichte II (1895) 249ff. Ed. Meyer, Gesch. des Altertums
II (1893) 644f. H. Bengtson, Griech. Gesch. s1977, 12 If. Alkaios war bekanntlich an
diesen Kämpfen selber beteiligt, s. W. Schmid a.O. Daß die Mytilenaier überhaupt
erst am Ende des 7. Jhs., als sie mit Athen Krieg führten, das Grab des Achilleus am
Sigeion lokalisiert hätten, hat E. Bethe, Homer ... 3. 1927, S. 75f. angenommen. Dann
könnte im Sinn der oben im Text ausgesprochenen Vermutung der Achilleus-Hymnos
des Alkaios diesen Kultakt begleitet haben.
12 Zu erschließen aus dem ό μέδεις c. gen.; s. dazu gleich unten i. Text. Daß Alkaios «auf
das heroische Herrschertum des Achilleus im Gebiet des Pontos» anspiele, entspricht
wohl der landläufigen Meinung, wie sie R. Hampe und E. Simon, Griechische Sagen
in der frühen etruskischen Kunst (1965) S. 62 formuliert haben.
13 Die gleiche Auffassung vertritt mit Entschiedenheit schon Fr. Pfister, Der Reliquien-
kult im Altertum (1909-12), Nachdruck 1974, S. 537. Trotzdem wird an jener gegen-
teiligen These bis heute immer wieder festgehalten, so von Belin de Ballu, Olbia ...
1972, S. 79 ob., der von einem «heros divinise» spricht. Vorsichtiger drückt sich W.
Burkert aus (Griech. Religion der archaischen und klassischen Epoche 1977, S. 267),
nach dem des Achilleus Verehrung als Pontarches auf der Insel Leuke u.a. «mit seiner
durchs Epos begründeten Popularität» Zusammenhängen soll. Entschiedener und
richtiger S. 314: diese Verehrung «läßt sich nicht aus der Ilias ableiten». Burkert
denkt an die Mutter Thetis als eigentliches Aition dieses Kultes (ähnlich schon Diehl
RE Sp. 11, Z. 5 ff.). Man könnte auch Achills, des <Aiakiden>, Großvater, den Zeus-
sohn Aiakos, in diesem Zusammenhang bemühen, wie es z.B. P. Von der Mühll en
passant getan hat: Der große Aias (1930), jetzt in: Ausgewählte kleine Schriften 1976
(S. 435ff.), hier S. 45349. Sowohl bei Aias wie bei Achilleus findet Von der Mühll gött-
liche Züge genug, spricht aber im Bann der herkömmlichen Anschauungen dabei stets
von «Heroen des Glaubens» u.ä. (s. bes. S. 469ff.), so daß er genötigt ist, die homeri-
schen Heroen als «heroische Menschen» oder «Heldengestalten» von jenen <echten>