Metadaten

Hommel, Hildebrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 1. Abhandlung): Der Gott Achilleus: vorgetr. am 5. Mai 1979 — Heidelberg: Winter, 1980

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45478#0042
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
32

Hildebrecht Hommel

Wenn wir hier mit unseren Feststellungen über den Gott Achill als
den Herrscher im Reich der Toten einsetzen und zugleich bedenken,
daß Polyxene ihm in Leuke als Gattin zugesellt wird, dann haben wir die
Lösung, der Wüst ganz nahe kam, die ihm aber noch verschlossen blei-
ben mußte, da ihm das Pendant Achilleus in diesem Zusammenhang
nicht gegenwärtig war. Er hat übrigens auch nicht bemerkt, daß eine
Weile vorher schon ein anderer Gelehrter von anderem Ausgangspunkt
her auf der gleichen Spur war, auch er ohne den letzten Schritt zu tun,
den wir nunmehr vollziehen können. Otto Gruppe hatte nämlich bereits
1906 in einem seiner vielen nebenbei vermerkten Einfälle aus einer ge-
genüber Wüst gestraffteren Liste von Hades-Epitheta, unter denen
auch bereits das bei Aischylos uns zweimal begegnende πολύξενος er-
scheint,88 den Schluß gezogen, daß der Name des Schwarzen Meeres
«Pontos Euxeinos vielleicht einer Hadesbezeichnung entlehnt ist».89
Bei Wüst war also Polyxene, die <Vielgastliche>, als Totengöttin er-
kannt, bei Gruppe der Pontos Euxeinos als <wohlgastliches Meer>, das
die Toten aufnimmt, ein offenbar diesem Gewässer von den Milesiern
beigelegter Name, nachdem sie in der Insel Leuke das alte Totenreich
entdeckt zu haben glaubten. Auch von russischer Seite war nicht lang
danach eine ähnliche Vermutung geäußert worden.90 Eine neuere Er-
klärung des ominösen Namens läßt sich gut damit in Einklang bringen.
Der Slavist Max Vasmer hat als erster vermutet, und die Iranisten sind
ihm zumeist darin gefolgt, daß die Milesier den skythischen Namen des
88 O. Gruppe I 4002. Er nennt (und belegt jeweils) Πολυδέκτης, Πολυδέγμων, Νεκρο-
δέγμων, Πανδόκος und Πολύξενος (Aisch. Hiket. 157 u. fr. 228 N.) sowie Πάγκοι-
νος, Πολύκοινος, Παγκοίτας.
89 Gruppe I 389 unter Hinweis auf die S. 400 gegebene Liste von Beinamen des Hades
(s. die vorige Anm.). — Die bisher geläufigste Deutung des Namens als Euphemismus
für das an sich <ungastliche>, weil stürmische Meer wird schon bei Ammianus Marcelli-
nus XXII 8,33 erörtert und von ihm als Ironie charakterisiert (a contrario per cavilla-
tionem), wobei er Wörter wie ευήθης, εύφρόνη, Ευμενίδες vergleicht.
90 Es muß nämlich betont werden, daß offenbar nicht lange nach Gruppe, aber doch
wohl ganz unabhängig von ihm, die gleiche Deutung des Pontos Euxeinos als «das
<gastliche> Meer des Totenreiches» auch von der russischen Forscherin Melikova ge-
funden und von I. Tolstoi a.O. 1918 (s. ob. S. 7 m. Anm. 2) S. 153 publiziert wurde,
was Erich Diehl Gn. 1927, 637f. und präziser RE 7 unten einer breiteren Öffentlich-
keit bekanntgemacht hat. Gn. 643 bemerkt er immerhin, daß diese «glückliche Deu-
tung des Namens des Pontos Euxeinos» schon nach Tolstoi’s Urteil «einer ausführli-
chen Monographie durchaus wert» sei. Doch scheint eine solche nicht gefolgt zu sein,
wie denn auch die genannten Forscher den letzten Schritt einer Charakterisierung des
Gottes Achilleus als Herrscher der Toten im fernen Jenseits über dem Meer nicht ge-
tan haben.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften