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Hommel, Hildebrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 1. Abhandlung): Der Gott Achilleus: vorgetr. am 5. Mai 1979 — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45478#0047
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Der Gott Achilleus

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nah und beinahe bis zur Identität an die Todesgöttin Artemis heran-
rückt. In der Tat darf sie geradezu als eine Variante dieser Gottheit be-
zeichnet werden,103 wie sich aus der Kombination zweier antiker Nach-
richten ergibt. Antoninus Liberalis erzählt104 in seinen Prosa-Metamor-
phosen 27, daß Artemis selber die Iphigenie, «als die Zeit dazu gekom-
men war» (κατά χρόνον ικνούμενον), aus ihrem Dienst in Taurien zu
Achill entließ, sie zur Göttin machte und fortan Orsiloch(e)ia nannte,
ihr also gleichsam den eigenen Namen gab; denn Orsiloche ist nach
Ammianus Marcellinus 22,8,34 eine andere Bezeichnung der Artemis,
die sie im Taurerland führt.105.
Wenn sich diese hier besprochenen Züge allesamt erstaunlich gut, ja
beinahe ohne Rest in das von uns rekonstruierte Bild vom alten Toten-
gott Achilleus fügen, so muß doch zweierlei dabei betont werden: ein-
mal daß die Gestalt des Thoas auch in andere Sagenkreise verwoben
ist,106 so in Aitolien oder in Korinth, auf Ithaka als Bruder der Pene-
lope, oder als Sohn von Dionysos und Ariadne auf Lemnos, hier aller-
dings nicht ohne Verbindungsfäden zu unserem taurischen König; zum
anderen, daß die Iphigeniensage ein ebenfalls sehr komplexes Gebilde
darstellt107 - so daß auf beide Fälle bezogen unsere These nur lauten
kann: Iphigeneia ist speziell aus dem bei Euripides in seinen beiden ihr
gewidmeten Dramen verwendeten Sagengut deutlich als Gefährtin des
Totengottes Achilleus im Norden des Schwarzen Meeres und auch sel-
ber als Herrscherin im Totenreich wiederzuerkennen; und Thoas ist, so-
weit er in die Iphigeniensage verstrickt ist, eine Dublette des Totengot-
tes Achilleus.
Eine erneute und gründliche Untersuchung der beiden Sagengestal-
ten Iphigeneia und Thoas auf der neugewonnenen Basis der hier vorge-
103 Von einer «Doppelgängerin» und von beiden als von «verschiedenen Ausdrücken
desselben Gottheitsbegriffes» spricht auch L. Radermacher, Das Jenseits ... 1903, S.
56ff., um von vielen Autoren nur einen Vertreter dieser Ansicht zu nennen (vgl. a.
Kjellberg a.O. 2603, der sich auf Herodot IV 103 beruft).
104 Er schöpft dabei angeblich aus des hellenistischen Dichters Nikandros von Kolophon
(3. Jh. v.Chr.) Heteroiumene; s. W. Kroll RE XVII (1937), 254f.
105 Kruse RE XVIII 1 (1942), 1419, der für die Identität beider Namensformen eintritt.
Bemerkenswert ist, daß diese Namen aus der gleichen Geburtshelfersphäre der Arte-
mis stammen wie vermutlich auch derjenige der Iphigeneia (s. dazu ob. Anm. 94). -
Weitere Zeugnisse für die Wesensgemeinschaft von Iphigeneia und Artemis hat G.
Lieberg zusammengestellt (Die Gestalt Iphigeniens bei Goethe und Euripides. In:
Deutschunterricht für Ausländer, 8. Jg. 1958, S. 41ff., hier S. 42).
106 O. Immisch a.O. 803ff. Annelise Modrze RE VI A (1937), 297ff. (Art. <Thoas>).
107 Stoll a.O. (ob. Anm. 93) 298ff. Kjellberg a.O. 2588ff.
 
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