10
Geza Alföldy
alicuius aut suae consuluit. Nec magis est vituperandus proditor
patriae quam communis utilitatis aut salutis desertor propter suam
utilitatem autsalutem9,. Durch moderne Urteile wird der Widerspruch
noch deutlicher. Während etwa Μ. Meslin auf die Frage, 'L’homme
romain est-il une personne?’ im Sinne einer trotz aller sozialen
Zwänge vorhandenen individuellen Wertschätzung eine positive Ant-
wort gab8 9, stellte z. B. H. Drexler fest: 'Die Antike hat das Indi-
viduum nicht entdeckt, konnte und wollte es nicht sehen, da sie,
nicht unberechtigterweise, dem Generellen, dem Paradigmatischen
zugewandt war’10. F. Hampl hat in einer jüngst erschienenen Studie
nicht nur für die späte Republik festgestellt, daß die wichtigste be-
wegende Kraft der Geschichte stets in den Ambitionen des Einzelnen
und nicht etwa in den kollektiven Interessen aristokratischer Gruppen
lag, sondern schon für die Zeit vor Cato hervorgehoben, 'daß es in
der Tat schon damals das gab, was wir - ganz wertfrei - als mehr oder
weniger egozentrisch ausgerichtetes, auf Macht, Ruhm und Reichtum
bedachtes Individuum bezeichnen können’11. Er versäumte es aber
nicht, ein so entgegengesetztes Urteil zu zitieren wie dasjenige von
O. Seel über den 'zutiefst’ römischen Gedanken bei Cato und Cicero,
'daß nämlich der Einzelne, das Individuum, nichts wert sei, vergäng-
lich, nichts als ein Krümchen Humus auf dem Acker der Ge-
schichte ..., nichts als ein Steinchen im Bau, jederzeit ersetzbar,
ruhmreich nur insoweit, als vom Ganzen her ein Lichtstrahl auf ihn
fällt’12. Man fragt sich wohl nicht zu Unrecht: Was war für die Stellung
des Einzelnen in der Gesellschaft Roms wirklich kennzeichnend -
das von H. Strasburger betonte Ringen um 'Ehre und Besitz des
8 Cic., Off. 1,158 (44) und Fin. 3,64 (19). Zu Ciceros Vorstellung über den Ein-
zelnen und die Gemeinschaft zutreffend C. Koch, Gottheit und Mensch im
Wandel der römischen Staatsform, in: Das neue Bild der Antike II (Leipzig
1942) 145 (von dort ders., Religio [Nürnberg 1960] 104 und in: Das Staats-
denken der Römer, hg. v. R. Klein [Darmstadt 1966] 52), ferner K. Bring-
mann, Untersuchungen zum späten Cicero (Göttingen 1971) 232ff.
9 Μ. Meslin, L’homme romain des origines au 1er siede de notre ere. Essai
d’anthropologie (Paris 1978) 218ff.
10 H. Drexler, Die Entdeckung des Individuums (Salzburg 1976) 253.
11 F. Hampl, Das Problem des Aufstiegs Roms zur Weltmacht. Exkurs II: Zum
Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft im republikanischen Rom.
In: Ders., Geschichte als kritische Wissenschaft III (Darmstadt 1978) 85 ff.
(Zitat ebd. 99).
12 0. Seel, Römertum und Latinität (Stuttgart 1964) 213 (zitiert bei F. Hampl,
a.O. 98 Anm. 55).
Geza Alföldy
alicuius aut suae consuluit. Nec magis est vituperandus proditor
patriae quam communis utilitatis aut salutis desertor propter suam
utilitatem autsalutem9,. Durch moderne Urteile wird der Widerspruch
noch deutlicher. Während etwa Μ. Meslin auf die Frage, 'L’homme
romain est-il une personne?’ im Sinne einer trotz aller sozialen
Zwänge vorhandenen individuellen Wertschätzung eine positive Ant-
wort gab8 9, stellte z. B. H. Drexler fest: 'Die Antike hat das Indi-
viduum nicht entdeckt, konnte und wollte es nicht sehen, da sie,
nicht unberechtigterweise, dem Generellen, dem Paradigmatischen
zugewandt war’10. F. Hampl hat in einer jüngst erschienenen Studie
nicht nur für die späte Republik festgestellt, daß die wichtigste be-
wegende Kraft der Geschichte stets in den Ambitionen des Einzelnen
und nicht etwa in den kollektiven Interessen aristokratischer Gruppen
lag, sondern schon für die Zeit vor Cato hervorgehoben, 'daß es in
der Tat schon damals das gab, was wir - ganz wertfrei - als mehr oder
weniger egozentrisch ausgerichtetes, auf Macht, Ruhm und Reichtum
bedachtes Individuum bezeichnen können’11. Er versäumte es aber
nicht, ein so entgegengesetztes Urteil zu zitieren wie dasjenige von
O. Seel über den 'zutiefst’ römischen Gedanken bei Cato und Cicero,
'daß nämlich der Einzelne, das Individuum, nichts wert sei, vergäng-
lich, nichts als ein Krümchen Humus auf dem Acker der Ge-
schichte ..., nichts als ein Steinchen im Bau, jederzeit ersetzbar,
ruhmreich nur insoweit, als vom Ganzen her ein Lichtstrahl auf ihn
fällt’12. Man fragt sich wohl nicht zu Unrecht: Was war für die Stellung
des Einzelnen in der Gesellschaft Roms wirklich kennzeichnend -
das von H. Strasburger betonte Ringen um 'Ehre und Besitz des
8 Cic., Off. 1,158 (44) und Fin. 3,64 (19). Zu Ciceros Vorstellung über den Ein-
zelnen und die Gemeinschaft zutreffend C. Koch, Gottheit und Mensch im
Wandel der römischen Staatsform, in: Das neue Bild der Antike II (Leipzig
1942) 145 (von dort ders., Religio [Nürnberg 1960] 104 und in: Das Staats-
denken der Römer, hg. v. R. Klein [Darmstadt 1966] 52), ferner K. Bring-
mann, Untersuchungen zum späten Cicero (Göttingen 1971) 232ff.
9 Μ. Meslin, L’homme romain des origines au 1er siede de notre ere. Essai
d’anthropologie (Paris 1978) 218ff.
10 H. Drexler, Die Entdeckung des Individuums (Salzburg 1976) 253.
11 F. Hampl, Das Problem des Aufstiegs Roms zur Weltmacht. Exkurs II: Zum
Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinschaft im republikanischen Rom.
In: Ders., Geschichte als kritische Wissenschaft III (Darmstadt 1978) 85 ff.
(Zitat ebd. 99).
12 0. Seel, Römertum und Latinität (Stuttgart 1964) 213 (zitiert bei F. Hampl,
a.O. 98 Anm. 55).