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Wolgast, Eike; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 9. Abhandlung): Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts im 16. Jahrhundert — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45486#0010
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8

Eike Wolgast

1.
Im 16. Jahrhundert erwachsen durch die Glaubensspaltung Proble-
me, die nicht mehr ohne weiteres mit den traditionellen Kategorien des
Rechtes und des politischen Handelns zu erfassen sind. Diese neuen
Probleme lassen sich mit der Formel „causa religionis“ bezeichnen; da-
mit soll der Sachverhalt gemeint sein, daß als Folge der Glaubensspal-
tung Konfessionen entstehen, von denen jede den Anspruch auf aus-
schließliche Geltung erhebt und damit den Einzelnen zur Option
zwingt. An die Stelle der bisherigen unreflektierten Selbstverständlich-
keit der Glaubensexistenz tritt die Forderung nach religiöser Entschei-
dung. Da diese Entscheidung je nach subjektiver Überzeugung des Be-
troffenen gegebenenfalls gegen Anordnungen der weltlichen Gewalt
ausfällt, können religiöses Bekenntnis und politischer Gehorsam in eine
Konfliktbeziehung zueinander geraten. Der konfessionelle Gegensatz
als Ergebnis der Kirchenspaltung wird auf alle Lebensbereiche übertra-
gen, so daß die bisher verbindlichen Normen des Urteils und die Maß-
stäbe für politisches und soziales Handeln fragwürdig werden und am
eigenen Glaubensverständnis neu geprüft werden müssen. Damit wird
die causa religionis für die Politik des 16. Jahrhunderts zu einem Faktor
von großer Bedeutung und hohem Eigenwert. Die Solidarität der glei-
chen Konfession und die Notwendigkeit ihres äußeren Schutzes führt
unvermeidlich zur Gruppen- und Parteibildung. Dies hat unmittelbar
politische Folgen, da die Existenz einer zweiten Religionspartei für die
numerisch oder machtpolitisch überlegene Konfession eines Territo-
riums eine politische Herausforderung bedeutet, auf die bis zum Ende
des Jahrhunderts fast ausschließlich mit Mitteln des Rechtes oder der
Gewalt reagiert wird, zumal der religiöse Gegensatz fast immer als Ka-
talysator auch für andere Konflikte wirkt.
Die causa religionis trug ein überaus subjektives Element in die Poli-
tik, indem jetzt die Forderung nach Bewahrung und Durchsetzung der
eigenen Glaubensüberzeugung in die politischen Auseinandersetzungen
eingeführt wurde. Für den Einzelnen entstand mit der Konfessionalisie-
rung die Frage, wie er sich sachgerecht verhalten sollte gegenüber einer
Obrigkeit, die die Bekenner des „wahren“ Glaubens verfolgte und die
„falsche“ Religion mit Gewalt aufrechterhielt und die damit ihren Zu-
ständigkeitsbereich über Zeremonial- und Disziplinarfragen hinaus auf
die Glaubensexistenz der Untertanen ausdehnte. Die Rechtmäßigkeit
obrigkeitlichen Vorgehens wurde an der eigenen subjektiven Überzeu-
gung gemessen, die absolute Geltung verlangte, so daß im Streit der
 
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