Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts
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a) „tyrannus ex defectu tituli“ (Thomas: „tyrannus, quantum ad modum
acquirendi praelationem“), der illegal zur Macht kommt und als Usur-
pator keine Berechtigung zur Herrschaftsausübung besitzt;
b) „tyrannus ex parte exercitii“ (Thomas: „quantum ad usum praelatio-
nis“), der legal zur Macht kommt, aber sein Amt mißbraucht und unge-
rechte Herrschaft ausübt.
Über die juristischen Kategorien hinaus galt das moralische Kriterium
der Unterscheidung von Tyrann und Herrscher, daß „hic bonus, ille ma-
lus est“9.
Indem sich jedoch das Widerstandsrecht in der causa religionis auf die
Verbindung von ständischem Recht und Tyrannenlehre begründete,
wurde es zu einem Recht, das trotz aller gegenteiligen Bemühungen der
Theoretiker über den üblichen Anwendungsbereich des positiven Rech-
tes hinausgriff. Dieses Widerstandsrecht mit seinen tiefgreifenden Fol-
gen der Absetzung oder Beseitigung des Herrschers als Tyrann setzte
nämlich den politischen Extremfall voraus, nicht einfach nur Verstöße
gegen Einzelbestimmungen geltenden Rechtes. Da im Streit der Kon-
fessionen das Verhalten eines Fürsten in der causa religionis über seine
rechtliche Herrschaftslegitimation bzw. seine Verurteilung als Tyrann
entschied, wurde wiederum unmittelbar der subjektive Faktor der eige-
nen Glaubensüberzeugung zum Maßstab der Situationsanalyse und da-
mit zum Rechtsgrund für das Handeln einer Konfessionspartei gemacht.
Um das Überleben des eigenen religiösen Bekenntnisses gegen den
glaubensverfolgenden Fürsten und die andere Konfessionspartei zu si-
chern, nahmen einzelne Theoretiker sogar ein Interventionsrecht, d. h.
die Anrufung auswärtiger Hilfe, als Mittel des Widerstands in ihre Kon-
zeption auf. Die Konfessionssolidarität verpflichtete den ausländischen
Fürsten, im Notfall brüderliche Hilfe zu leisten.
vom Mittelalter über die Reformatoren und Monarchomachen bis zu Milton, Filmer
und Harrington nachgewiesen wird. Als instruktives Beispiel für die Tyrannendiskus-
sion im 12. Jahrhundert vgl. H. Wieruszowski, Roger II of Sicily, „Rex-Tyrannus“, in
Twelfth-Century Political Thought. In: Dies., Politics and Culture in Medieval Spain
and Italy (Rom 1971), 51ff. (freundlicher Hinweis von P. Classen-Heidelberg). In der
Polemik gegen Roger II. als Tyrannen, wobei bewußt die Tradition der sizilischen Ty-
rannen der Antike aufgenommen wird, geht es aber vor allem um die Außenpolitik,
sein Verhältnis zu Kaiser und Papst, denen gegenüber er als Usurpator erscheint,
nicht um die Beziehungen zu seinen Untertanen.
8 Bartolus unterscheidet vom tyrannus manifestus noch den tyrannus velatus in republi-
kanisch organisierten Staaten; diese Erscheinungsform ist für das 16. Jahrhundert je-
doch ohne Interesse.
9 Coluccio Salutati, De Tyranno (1400); zit. nach Schönstedt, 55.
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a) „tyrannus ex defectu tituli“ (Thomas: „tyrannus, quantum ad modum
acquirendi praelationem“), der illegal zur Macht kommt und als Usur-
pator keine Berechtigung zur Herrschaftsausübung besitzt;
b) „tyrannus ex parte exercitii“ (Thomas: „quantum ad usum praelatio-
nis“), der legal zur Macht kommt, aber sein Amt mißbraucht und unge-
rechte Herrschaft ausübt.
Über die juristischen Kategorien hinaus galt das moralische Kriterium
der Unterscheidung von Tyrann und Herrscher, daß „hic bonus, ille ma-
lus est“9.
Indem sich jedoch das Widerstandsrecht in der causa religionis auf die
Verbindung von ständischem Recht und Tyrannenlehre begründete,
wurde es zu einem Recht, das trotz aller gegenteiligen Bemühungen der
Theoretiker über den üblichen Anwendungsbereich des positiven Rech-
tes hinausgriff. Dieses Widerstandsrecht mit seinen tiefgreifenden Fol-
gen der Absetzung oder Beseitigung des Herrschers als Tyrann setzte
nämlich den politischen Extremfall voraus, nicht einfach nur Verstöße
gegen Einzelbestimmungen geltenden Rechtes. Da im Streit der Kon-
fessionen das Verhalten eines Fürsten in der causa religionis über seine
rechtliche Herrschaftslegitimation bzw. seine Verurteilung als Tyrann
entschied, wurde wiederum unmittelbar der subjektive Faktor der eige-
nen Glaubensüberzeugung zum Maßstab der Situationsanalyse und da-
mit zum Rechtsgrund für das Handeln einer Konfessionspartei gemacht.
Um das Überleben des eigenen religiösen Bekenntnisses gegen den
glaubensverfolgenden Fürsten und die andere Konfessionspartei zu si-
chern, nahmen einzelne Theoretiker sogar ein Interventionsrecht, d. h.
die Anrufung auswärtiger Hilfe, als Mittel des Widerstands in ihre Kon-
zeption auf. Die Konfessionssolidarität verpflichtete den ausländischen
Fürsten, im Notfall brüderliche Hilfe zu leisten.
vom Mittelalter über die Reformatoren und Monarchomachen bis zu Milton, Filmer
und Harrington nachgewiesen wird. Als instruktives Beispiel für die Tyrannendiskus-
sion im 12. Jahrhundert vgl. H. Wieruszowski, Roger II of Sicily, „Rex-Tyrannus“, in
Twelfth-Century Political Thought. In: Dies., Politics and Culture in Medieval Spain
and Italy (Rom 1971), 51ff. (freundlicher Hinweis von P. Classen-Heidelberg). In der
Polemik gegen Roger II. als Tyrannen, wobei bewußt die Tradition der sizilischen Ty-
rannen der Antike aufgenommen wird, geht es aber vor allem um die Außenpolitik,
sein Verhältnis zu Kaiser und Papst, denen gegenüber er als Usurpator erscheint,
nicht um die Beziehungen zu seinen Untertanen.
8 Bartolus unterscheidet vom tyrannus manifestus noch den tyrannus velatus in republi-
kanisch organisierten Staaten; diese Erscheinungsform ist für das 16. Jahrhundert je-
doch ohne Interesse.
9 Coluccio Salutati, De Tyranno (1400); zit. nach Schönstedt, 55.