Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts
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dius konstatiert werden, da ein Vertragspartner nicht zugleich Richter
und Exekutor des Urteils sein durfte19. Die Anwendung des aus dem
Privatrecht übernommenen Satzes „Vim vi repellere licere“ - für die
Befürworter der entscheidende Beleg zugunsten eines Widerstands-
rechts - auf das Verhältnis Fürst-Kaiser hat Luther stets abgelehnt20.
Die ungerechte Herrschaft und selbst die Tyrannis war hinzunehmen als
Strafe Gottes; ihre Beseitigung bedeutete, Gottes Richteramt zu usur-
pieren. Außerdem war die Tyrannis als Herrschaft eines einzelnen
Menschen leichter zu ertragen als die völlige Gesetzlosigkeit in Gestalt
der Pöbelherrschaft - gegen ein Recht auf Widerstand sprach für Luther
und die Wittenberger Theologen ganz unmittelbar die Furcht vor der
Anarchie. Dabei war das Anarchieargument seit 1525 mit dem Trauma
des Bauernaufstands verknüpft; die Bejahung eines Widerstandsrechts
mußte dieser Vorstellung zufolge im Nachhinein die Bauern ins Recht
setzen, da den Untertanen des Fürsten gegen den Landesherrn nicht
vorenthalten bleiben konnte, was den Fürsten als Untertanen des Kai-
sers zugestanden werden sollte.
Die Wittenberger Diskussionen über Gehorsam und Widerstand ha-
ben bis 1530 ihren konkreten Bezugspunkt in der Frage nach der Er-
laubtheit von Bündnissen zum Schutz der Religion und dem darin ent-
haltenen Problem der Einbeziehung des Kaisers als Gegner gehabt. Da-
bei hat Luther bis über den Augsburger Reichstag von 1530 hinaus an
der Forderung nach der exclusio Caesaris aus dem Erstreckungsbereich
eines Bündnisses festgehalten und damit zumindest indirekt ein Wider-
standsrecht gegen den magistratus superior abgelehnt. Berufung auf
Recht, Vertrauen auf Bündnis und Sicherheit durch eigene Vorberei-
tungen widersprachen ohnedies seiner theologischen Konzeption von
der absoluten Souveränität Gottes und der grundsätzlichen und voll-
kommenen Abhängigkeit des Menschen von Gott. Von der Vorausset-
zung her, Gott etwas zuzutrauen, nicht in rational berechnetem Zugriff
die Pläne Gottes zu stören, hat er letztlich jedes weltliche Bemühen um
äußeren Schutz des Glaubens abgelehnt, wenn er auch die Möglichkeit,
dem Kaiser mit gutem Gewissen gewaltsamen Widerstand zu leisten,
erst im März 1530 ausdrücklich verwarf. Aber noch im gleichen Jahr
beugte er sich der Verfassungsbelehrung durch die sächsischen und hes-
sischen Politiker und Juristen, die aus dem positiven Recht deduzierten,
daß es eine eigenständige Amtsgewalt der Reichsfürsten gab, die nicht
19 Vgl. WA 19, 635ff.; vgl. dazu Wolgast (s. Anm. 16), 83f.
20 Vgl. ebd., 105 Anm. 49 und die dort angegebenen Quellenstellen.
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dius konstatiert werden, da ein Vertragspartner nicht zugleich Richter
und Exekutor des Urteils sein durfte19. Die Anwendung des aus dem
Privatrecht übernommenen Satzes „Vim vi repellere licere“ - für die
Befürworter der entscheidende Beleg zugunsten eines Widerstands-
rechts - auf das Verhältnis Fürst-Kaiser hat Luther stets abgelehnt20.
Die ungerechte Herrschaft und selbst die Tyrannis war hinzunehmen als
Strafe Gottes; ihre Beseitigung bedeutete, Gottes Richteramt zu usur-
pieren. Außerdem war die Tyrannis als Herrschaft eines einzelnen
Menschen leichter zu ertragen als die völlige Gesetzlosigkeit in Gestalt
der Pöbelherrschaft - gegen ein Recht auf Widerstand sprach für Luther
und die Wittenberger Theologen ganz unmittelbar die Furcht vor der
Anarchie. Dabei war das Anarchieargument seit 1525 mit dem Trauma
des Bauernaufstands verknüpft; die Bejahung eines Widerstandsrechts
mußte dieser Vorstellung zufolge im Nachhinein die Bauern ins Recht
setzen, da den Untertanen des Fürsten gegen den Landesherrn nicht
vorenthalten bleiben konnte, was den Fürsten als Untertanen des Kai-
sers zugestanden werden sollte.
Die Wittenberger Diskussionen über Gehorsam und Widerstand ha-
ben bis 1530 ihren konkreten Bezugspunkt in der Frage nach der Er-
laubtheit von Bündnissen zum Schutz der Religion und dem darin ent-
haltenen Problem der Einbeziehung des Kaisers als Gegner gehabt. Da-
bei hat Luther bis über den Augsburger Reichstag von 1530 hinaus an
der Forderung nach der exclusio Caesaris aus dem Erstreckungsbereich
eines Bündnisses festgehalten und damit zumindest indirekt ein Wider-
standsrecht gegen den magistratus superior abgelehnt. Berufung auf
Recht, Vertrauen auf Bündnis und Sicherheit durch eigene Vorberei-
tungen widersprachen ohnedies seiner theologischen Konzeption von
der absoluten Souveränität Gottes und der grundsätzlichen und voll-
kommenen Abhängigkeit des Menschen von Gott. Von der Vorausset-
zung her, Gott etwas zuzutrauen, nicht in rational berechnetem Zugriff
die Pläne Gottes zu stören, hat er letztlich jedes weltliche Bemühen um
äußeren Schutz des Glaubens abgelehnt, wenn er auch die Möglichkeit,
dem Kaiser mit gutem Gewissen gewaltsamen Widerstand zu leisten,
erst im März 1530 ausdrücklich verwarf. Aber noch im gleichen Jahr
beugte er sich der Verfassungsbelehrung durch die sächsischen und hes-
sischen Politiker und Juristen, die aus dem positiven Recht deduzierten,
daß es eine eigenständige Amtsgewalt der Reichsfürsten gab, die nicht
19 Vgl. WA 19, 635ff.; vgl. dazu Wolgast (s. Anm. 16), 83f.
20 Vgl. ebd., 105 Anm. 49 und die dort angegebenen Quellenstellen.