Metadaten

Wolgast, Eike; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 9. Abhandlung): Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts im 16. Jahrhundert — Heidelberg: Winter, 1980

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.45486#0020
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
18

Eike Wolgast

bewaffneten Konflikts mit dem Kaiser um der causa religionis willen ge-
fordert wurde18. Da er sich, auch wenn er zu Gutachten über politische
Fragen aufgefordert wurde, stets vor allem als Seelsorger in Anspruch
genommen sah, waren für ihn die Bibel und daneben das Naturrecht in
seiner Fundierung auf den Dekalog die einzige Urteilsnorm; sein Rat
galt dem Christen als persona privata, nicht dem Fürsten in dessen Ei-
genschaft als persona publica. Dementsprechend schärfte er die Ver-
bindlichkeit des Gehorsamsgebots von Röm. 13 ein und zog aus der
clausula Petri nur die Konsequenz des leidenden Ungehorsams gegen-
über widergöttlichen Befehlen des magistratus superior. Da sein Ver-
ständnis der Rechtsbeziehung zwischen Kaiser und deutschen Territo-
rialfürsten von dem Vorbild der kirchlichen Hierarchie mit ungebroche-
ner Befehls- und Gehorsamsrelation geprägt war, wurden für ihn die
magistratus inferiores bei Anordnungen des magistratus superior zu ein-
fachen Untertanen mit vorbehaltloser Gehorsamspflicht bis zur Schwel-
le der clausula Petri, ohne daß sie die Berechtigung besaßen, Gewalt ge-
gen den höheren Amtsträger auszuüben: Der Kurfürst von Sachsen ver-
hielt sich nach dem berühmten Beispiel Luthers zum Kaiser wie der
Bürgermeister von Torgau zum Kurfürsten. Die Territorialfürsten wa-
ren für ihn im Zusammenhang der Reichsverfassung nicht durch Röm.
13 als eigenständige Obrigkeiten legitimiert, sondern regierten mit ab-
geleiteter Macht als Beauftragte des Kaisers. Einem Widerstandsrecht
des Fürsten im Bereich der causa religionis stand daher eine zweifache
Schranke entgegen: weltlicher Art - Verbot der Gewaltanwendung ge-
gen die Obrigkeit; religiöser Art - Leidenspflicht des Christen, auch des
Fürsten als Christen, um des Glaubens willen.
Bis 1530 hat sich Luther bei direkten Anfragen der Politiker einer
eindeutigen Stellungnahme zum Widerstandsrecht entzogen, ohne die
politischen und juristischen Gründe, die ihm vorgetragen wurden, zu
würdigen. So blieb auch die Argumentation der fürstlichen Räte, tyran-
nische Herrschaft und Bruch vertraglicher Verpflichtungen rechtfertig-
ten Widerstand gegen den Kaiser, bei ihm bis 1530 ohne Erfolg; der
Vertragsbruch mußte nach seiner Überzeugung durch einen iudex me-
18 Über die Widerstandslehre Luthers vgl. zuletzt Wolgast (s. Anm. 16), passim; auf
Einzelnachweise zu Luther wird im Folgenden verzichtet, stattdessen sei auf diese Ar-
beit verwiesen. Die wichtigsten Texte sind vereinigt bei H. Scheible (Hg.), Das Wider-
standsrecht als Problem der deutschen Protestanten 1523-1546 (Gütersloh 1969).
Ausdrücklich sei nochmals darauf hingewiesen, daß bei Luther wie bei allen im Fol-
genden untersuchten theologisch-juristischen Positionen die Interpretation auf das für
die Fragestellung Wesentliche beschränkt worden ist.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften