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Eike Wolgast
und religiöse Verpflichtung, seine christliche Solidarität nicht an den
Grenzen seines Landes enden zu lassen, wenn im Nachbarland Fröm-
migkeit und Gerechtigkeit verletzt werden. „Princeps, qui tyranni scele-
ra innocentumque caedem, quae impedire potest, otiosus spectat, . . .
tyranno criminosior est“99. Mit dieser Forderung war eine neue Stufe
der Radikalität in der hugenottischen Monarchomachenliteratur er-
reicht, die zugleich die verzweifelte Lage der Protestanten im Bürger-
krieg widerspiegelte.
7.
Der Tod des letzten Bruders Heinrichs III. im Juni 1584 führte die Dis-
kussion über Gehorsam und Widerstand in Frankreich in eine neue
Richtung, wenn auch die Voraussetzung der causa religionis erhalten
blieb und sogar stärker als bisher in den Mittelpunkt der Auseinander-
setzungen gerückt wurde. Waren bisher die hugenottischen Monarcho-
machen für das Wahlkönigtum, den Herrschaftsvertrag mit Kontroll-
funktion der magistratus inferiores und für die Limitierung der Rechte
des Fürsten eingetreten, um ihre Glaubensexistenz zu retten, so änderte
sich ihre Argumentation mit der Aussicht auf die Thronbesteigung
Heinrichs von Navarra kraft Erbrechts nach dem Tode des kinderlosen
Königs. Hotman hat seine „Francogallia“ für die dritte Auflage umgear-
beitet, um die herkömmliche Thronfolgeregelung zu verteidigen, ob-
wohl er 1573 das Wahlkönigtum historisch begründet hatte; darüber
hinaus rechtfertigte er in einem eigenen Traktat „De iure successionis
regiae in regno Francorum“ 1588 den Thronfolgeanspruch mit der viel-
hundertjährigen Gewohnheit100.
Dagegen übernahmen nun die Katholiken wesentliche Elemente der
bisherigen monarchomachischen Theorie, die sie in Anpassung an die
veränderte Situation bis zum Extrem vortrieben. Bis 1576 war die ka-
tholische Publizistik im wesentlichen royalistisch gesinnt und hatte ge-
gen die hugenottischen Vorstellungen von französischer Verfassungs-
struktur und Widerstandsrecht polemisiert. Der Frieden von Beaulieux
(Paix de Monsieur) hatte dann wegen seiner Zugeständnisse an die Pro-
testanten erste Zweifel am Glaubenseifer des Königs geweckt, so daß
99 Qu. IV (S. 223). Die ganze quaestio ist der Frage gewidmet: „An iure possint aut de-
beant vicini principes auxilium ferre aliorum principum subditis religionis purae causa
afflictis aut manifesta tyrannide oppressis?“
100 Zum Wechsel der Argumentation vgL Kretzer (s. Anm. 90), 37f.; vgl. auch Yardeni
(s. Anm. 74), 183ff.; Giesey-Salmon (s. Anm. 77), 98ff.
Eike Wolgast
und religiöse Verpflichtung, seine christliche Solidarität nicht an den
Grenzen seines Landes enden zu lassen, wenn im Nachbarland Fröm-
migkeit und Gerechtigkeit verletzt werden. „Princeps, qui tyranni scele-
ra innocentumque caedem, quae impedire potest, otiosus spectat, . . .
tyranno criminosior est“99. Mit dieser Forderung war eine neue Stufe
der Radikalität in der hugenottischen Monarchomachenliteratur er-
reicht, die zugleich die verzweifelte Lage der Protestanten im Bürger-
krieg widerspiegelte.
7.
Der Tod des letzten Bruders Heinrichs III. im Juni 1584 führte die Dis-
kussion über Gehorsam und Widerstand in Frankreich in eine neue
Richtung, wenn auch die Voraussetzung der causa religionis erhalten
blieb und sogar stärker als bisher in den Mittelpunkt der Auseinander-
setzungen gerückt wurde. Waren bisher die hugenottischen Monarcho-
machen für das Wahlkönigtum, den Herrschaftsvertrag mit Kontroll-
funktion der magistratus inferiores und für die Limitierung der Rechte
des Fürsten eingetreten, um ihre Glaubensexistenz zu retten, so änderte
sich ihre Argumentation mit der Aussicht auf die Thronbesteigung
Heinrichs von Navarra kraft Erbrechts nach dem Tode des kinderlosen
Königs. Hotman hat seine „Francogallia“ für die dritte Auflage umgear-
beitet, um die herkömmliche Thronfolgeregelung zu verteidigen, ob-
wohl er 1573 das Wahlkönigtum historisch begründet hatte; darüber
hinaus rechtfertigte er in einem eigenen Traktat „De iure successionis
regiae in regno Francorum“ 1588 den Thronfolgeanspruch mit der viel-
hundertjährigen Gewohnheit100.
Dagegen übernahmen nun die Katholiken wesentliche Elemente der
bisherigen monarchomachischen Theorie, die sie in Anpassung an die
veränderte Situation bis zum Extrem vortrieben. Bis 1576 war die ka-
tholische Publizistik im wesentlichen royalistisch gesinnt und hatte ge-
gen die hugenottischen Vorstellungen von französischer Verfassungs-
struktur und Widerstandsrecht polemisiert. Der Frieden von Beaulieux
(Paix de Monsieur) hatte dann wegen seiner Zugeständnisse an die Pro-
testanten erste Zweifel am Glaubenseifer des Königs geweckt, so daß
99 Qu. IV (S. 223). Die ganze quaestio ist der Frage gewidmet: „An iure possint aut de-
beant vicini principes auxilium ferre aliorum principum subditis religionis purae causa
afflictis aut manifesta tyrannide oppressis?“
100 Zum Wechsel der Argumentation vgL Kretzer (s. Anm. 90), 37f.; vgl. auch Yardeni
(s. Anm. 74), 183ff.; Giesey-Salmon (s. Anm. 77), 98ff.