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Wolgast, Eike; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1980, 9. Abhandlung): Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts im 16. Jahrhundert — Heidelberg: Winter, 1980

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https://doi.org/10.11588/diglit.45486#0045
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Die Religionsfrage als Problem des Widerstandsrechts

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sich zu ziehen, rechtlich festgestellt werden; anders als bei Beza werden
dafür in den „Vindiciae“ Kriterien aufgestellt: Tyrannis besteht bei
Verstößen gegen das göttliche Gesetz und bei Zerstörung der Kirche,
Unterdrückung des Volkes und Rechtsverletzung sowie Vergeudung
von staatlichem Besitz93.
Träger des Widerstands sind die magistratus. Wie Beza unterscheidet
„Brutus“ zwischen zwei Kategorien von Amtsträgern. Die „regni offi-
ciarii“ haben Verpflichtungen für das ganze Königreich, da sie, „qui
universos repraesentant“, die „vindices et custodes“ des zwischen König
und Volk abgeschlossenen Vertrags sind94; als vom Volk bestellte „qua-
si imperii consortes . . . ipsos [sc.reges] in officio contineant, et singuli
quidem rege inferiores, universi vero superiores“95. Sie haben die Pflicht,
auch als Einzelne „ceteris conniventibus aut colludentibus“ Wider-
stand gegen den Tyrannen zu leisten96. Neben ihnen stehen Amts-
träger, „qui alicuius partis regionisve (tutelam susceperunt), quales du-
ces, marchiones, comites, consules, maiores“, mit der eingeschränkten
Pflicht „tyrannidem tyrannumque ab ea regione urbeve arcere iure
suo“97. Die letzte Autorität liegt zwar bei den Ständen, aber im Gesamt-
konzept der „Vindiciae“ haben die magistratus inferiores größere Be-
deutung. Innerhalb ihrer Kompetenzbereiche üben sie mit Eigenlegiti-
mation Widerstand gegen den tyrannischen Herrscher. Dabei ist auch
das Widerstandsrecht des einzelnen Amtsträgers zugelassen, falls die
Korporation versagt: „Qui regno imperiove universo opem operamque
suam promiserint . . . aut qui alicui speciatim regioni urbive, quae regni
partem faciat, . . . universae reipublicae sive reipublicae parti, quam ip-
sis secundum regem populus commiserit, tyrannide oppressae succurre-
re tenentur. Et illi quidem Universum regnum a tyrannide vindicare de-
bent, si possunt, hi, tanquam tutores per regiones dati, eam regni par-
tem, cuius tutelam susceperunt. Illi, inquam, tyrannum coercere, hi a su-
is finibus arcere tenentur“98. Für die homines privati gilt dagegen auch
in den „Vindiciae“ das von Luther und Calvin gelehrte Verhalten: Lei-
den oder Emigration.
Hatten schon bei Beza die magistratus inferiores das Recht, im Aus-
land Hilfe gegen tyrannische Herrscher zu suchen, gingen die „Vindi-
ciae“ weiter und forderten die eigene Initiative des landfremden Für-
sten; dieser hat nicht nur ein Interventionsrecht, sondern die moralische
93 Zur Tyrannenlehre der „Vindiciae“ vgl. qu. III (S. 167ff.).
94 Qu. III (S. 206). 95 Qu. III (S. 110). 96 Qu. III (S. 206).
97 Qu. III (S. 206). 98 Qu. III (S. 199).
 
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