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Albrecht Dihle
Als der Bote mit der Nachricht vom Sieg der parthischen Armee bei
Carrhae während der Hochzeit des parthischen Kronprinzen mit einer
armenischen Prinzessin eintraf und als Beweisstück den abgeschnitte-
nen Kopf des römischen Befehlshabers mitbrachte, soll sich eine gerade
am Königshof befindliche griechische Schauspielertruppe dieser grausi-
gen Trophäe bemächtigt haben. Der Hauptdarsteller habe es in der
Rolle der Agaue in der Schlußszene der ‘Bacchen’ des Euripides als
Haupt des Pentheus verwendet. Die Erzählung macht deutlich, daß jene
Schauspieler lediglich den Schluß der ‘Bacchen’ vorführten, und daß es
sich nicht um eine Aufführung der ganzen Tragödie handelte: Der
Hauptdarsteller, Jason von Tralles, sang den Part der Agaue (fjöev . . .
toi rcepl xf]v ’Ayaüryv), nachdem er das Haupt des Crassus genommen
und die Atrappe des Pentheus-Kopfes (oKeuojioiiqpa) einem Chormit-
glied übergeben hatte. Mit Solist und Chor wurde hier also eine einzel-
ne Tragödienszene aufgeführt, an der sich dann auch einer der parthi-
schen Großen beteiligte, der ebenso wie der parthische und der armeni-
sche König seinen Euripides recht gut gekannt zu haben scheint.
Wo kaiserzeitliche Autoren wie Philon, Plutarch oder Athenaios über
Stellen aus Euripides-Tragödien sprechen, die man zu ihrer Zeit auf der
Bühne gesehen und gehört habe, wird nicht immer deutlich, ob sie da-
bei eine Gesamtaufführung oder die Wiedergabe einer Einzelpartie im
Auge haben. Lediglich eine Stelle in der Apollonios-Vita Philostrats
läßt eher an das zweite, an die Rezitationsdarbietung eines einzeln auf-
tretenden Schauspielers denken. Es heißt dort (7,5), daß ein Schauspie-
ler (xpaycpötag ercoKQixf|g) nach Ephesos gekommen und mit der Ino
des Euripides im Theater aufgetreten sei (eni xf| ’Ivol xö) dpäpaxt). Im
folgenden hören wir dann, daß der etwas nervöse und empfindliche
Prokonsul, der sich unter den Zuschauern befand, nach der Deklama-
tion der iambischen Partie über das Tyrannenschicksal ärgerlich aufge-
sprungen sei mit den Worten: Dieser Elende versteht weder Euripides
noch mich! Man versteht den Wortlaut der Anekdote, die, anders als
die Crassus-Geschichte, mit keinem Wort von einem Ensemble redet
und den Schauspieler allein nach Ephesus kommen läßt, am besten un-
ter der Voraussetzung, daß hier die Rezitationsveranstaltung eines ein-
zelnen Virtuosen stattfand.
Wenn vollends späte Autoren wie Tatian (or. ad Graec. 24,1) oder
Eusebios (praep. ev. 5,32,2) davon sprechen, daß Euripides zu ihrer
Zeit auf der Bühne gespielt wird, darf man wohl kaum noch an Gesamt-
aufführungen denken.
Die Gepflogenheit des hellenistisch-kaiserzeitlichen Theaterbetrie-
Albrecht Dihle
Als der Bote mit der Nachricht vom Sieg der parthischen Armee bei
Carrhae während der Hochzeit des parthischen Kronprinzen mit einer
armenischen Prinzessin eintraf und als Beweisstück den abgeschnitte-
nen Kopf des römischen Befehlshabers mitbrachte, soll sich eine gerade
am Königshof befindliche griechische Schauspielertruppe dieser grausi-
gen Trophäe bemächtigt haben. Der Hauptdarsteller habe es in der
Rolle der Agaue in der Schlußszene der ‘Bacchen’ des Euripides als
Haupt des Pentheus verwendet. Die Erzählung macht deutlich, daß jene
Schauspieler lediglich den Schluß der ‘Bacchen’ vorführten, und daß es
sich nicht um eine Aufführung der ganzen Tragödie handelte: Der
Hauptdarsteller, Jason von Tralles, sang den Part der Agaue (fjöev . . .
toi rcepl xf]v ’Ayaüryv), nachdem er das Haupt des Crassus genommen
und die Atrappe des Pentheus-Kopfes (oKeuojioiiqpa) einem Chormit-
glied übergeben hatte. Mit Solist und Chor wurde hier also eine einzel-
ne Tragödienszene aufgeführt, an der sich dann auch einer der parthi-
schen Großen beteiligte, der ebenso wie der parthische und der armeni-
sche König seinen Euripides recht gut gekannt zu haben scheint.
Wo kaiserzeitliche Autoren wie Philon, Plutarch oder Athenaios über
Stellen aus Euripides-Tragödien sprechen, die man zu ihrer Zeit auf der
Bühne gesehen und gehört habe, wird nicht immer deutlich, ob sie da-
bei eine Gesamtaufführung oder die Wiedergabe einer Einzelpartie im
Auge haben. Lediglich eine Stelle in der Apollonios-Vita Philostrats
läßt eher an das zweite, an die Rezitationsdarbietung eines einzeln auf-
tretenden Schauspielers denken. Es heißt dort (7,5), daß ein Schauspie-
ler (xpaycpötag ercoKQixf|g) nach Ephesos gekommen und mit der Ino
des Euripides im Theater aufgetreten sei (eni xf| ’Ivol xö) dpäpaxt). Im
folgenden hören wir dann, daß der etwas nervöse und empfindliche
Prokonsul, der sich unter den Zuschauern befand, nach der Deklama-
tion der iambischen Partie über das Tyrannenschicksal ärgerlich aufge-
sprungen sei mit den Worten: Dieser Elende versteht weder Euripides
noch mich! Man versteht den Wortlaut der Anekdote, die, anders als
die Crassus-Geschichte, mit keinem Wort von einem Ensemble redet
und den Schauspieler allein nach Ephesus kommen läßt, am besten un-
ter der Voraussetzung, daß hier die Rezitationsveranstaltung eines ein-
zelnen Virtuosen stattfand.
Wenn vollends späte Autoren wie Tatian (or. ad Graec. 24,1) oder
Eusebios (praep. ev. 5,32,2) davon sprechen, daß Euripides zu ihrer
Zeit auf der Bühne gespielt wird, darf man wohl kaum noch an Gesamt-
aufführungen denken.
Die Gepflogenheit des hellenistisch-kaiserzeitlichen Theaterbetrie-