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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 2. Abhandlung): Der Prolog der "Bacchen" und die antike Überlieferungsphase des Euripides-Textes: vorgetragen am 18. November 1980 — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47795#0111
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Der Prolog der ‘Bacchen’

109

V
Wenn auch einige Wahrscheinlichkeit dafür spricht, daß es in unserem
Euripides-Text Interpolationen gibt, die ihre Entstehung spezifischen
Bedingungen der hellenistisch-römischen Wiederaufführungspraxis ver-
danken, so bleibt doch das Problem, wie man sich ihr Eindringen in die
Lesetexte und ihre Überlieferung bis in die mittelalterliche Handschrif-
ten hinein vorzustellen habe.
Die im ersten Kapitel behandelte späthellenistische Interpolation im
Prolog der ‘Bacchen’ stand spätestens am Ende des 1. Jh. v. C. in Lese-
texten, wie man sie in der Hand Strabons voraussetzen muß, und viel-
leicht auch schon in Florilegien, die aus Euripides-Texten hergestellt
waren. Man darf also annehmen, daß Interpolationen, die ihr Glück auf
der Bühne gemacht hatten, auch noch in hellenistisch-römischer Zeit
ein allgemeines Bürgerrecht in dem derart interpolierten Werk erhiel-
ten und seine Überlieferungsschicksale teilten, einerlei, ob die jeweils
neue Abschrift für Theater- oder für Lesezwecke angefertigt wurde.
Man sollte sich die Fixierung des Lesetextes durch die Ausgabe des Ari-
stophanes von Byzanz also nicht zu wirksam, zu definitiv vorstellen.
Andererseits dauerte bekanntlich die philologische Behandlung der
Klassikertexte in Kommentaren und Spezialschriften von der frühhelle-
nistischen bis in die spätkaiserzeitliche Epoche an, und auch kaiserzeit-
liche Editoren und Kommentatoren waren auf die Erörterung textkriti-
scher Probleme gewiesen. Unsere Scholien zitieren wiederholt Gelehrte
augusteischer Zeit wie Didymos (zu Eur. Med. 386; 380) und Philoxe-
nos (zu Phoen. 264), und gerade bei der Besprechung von Bühnenva-
rianten im Text werden verschiedene Perioden der Bühnenpraxis unter-
schieden und die „heutigen“ Schauspieler (zu Or. 57; 268) von den äl-
teren unterschieden (s. u. 113). Es ist also anzunehmen, daß unsere Scho-
lien, deren gelehrtes Material üblicherweise von der hellenistischen bis
in die byzantinische Zeit zu reichen pflegt, ohne daß man freilich in je-
dem Einzelfall Alter und Herkunft eindeutig bestimmen kann, gele-
gentlich auch auf späte, d. h. aus der hellenistischen Aufführungspraxis
stammende Interpolationen zu sprechen kommen. Dafür gibt es in der
Tat ein Beispiel in den Scholien zum ‘Orestes’, und zwar gerade in der
 
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