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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 2. Abhandlung): Der Prolog der "Bacchen" und die antike Überlieferungsphase des Euripides-Textes: vorgetragen am 18. November 1980 — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47795#0039
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Der Prolog der ‘Bacchen’

37

ten aus dramatischer Literatur ist eben die Frage nach der Bestimmung
jeweils neu zu stellen36.
Der Überblick, der keineswegs Anspruch auf vollständige Erfassung
des Materials erhebt, dürfte zur Genüge gezeigt haben, daß man für den
Theaterbetrieb der gesamten hellenistisch-römischen Periode mit der
Aufführung einzelner, gesungener oder rezitierter, Partien aus klassi-
schen Tragödien, insbesondere solchen des Euripides, in den zahllosen
Theatern der griechischen Welt zu rechnen hat. Natürlich gab es wohl
weiterhin auch Gesamtaufführungen solcher Tragödien, insbesondere
im Programm der großen Agone, die von wohlhabenden Städten im
Rahmen ihres Festkalenders ausgerichtet wurden. Aber die besproche-
nen Zeugnisse legen den Schluß nahe, daß die Aufführungen einzelner
Partien eher die Regel als die Ausnahme bildeten. Für die Aufführung
ganzer Tragödien gibt es erstaunlich wenige eindeutige Zeugnisse aus
hellenistisch-römischer Zeit, wenn man von den didaskalischen Doku-
menten absieht (Tr. G. F. p. 4ff.)37. Der Umstand, daß sich unter den
Tragiker-Papyri aus Ägypten gerade solche befinden, die für die Auf-
führung einzelner Partien als Textbücher dienen konnten, bekräftigt die
Auffassung von der besonderen Bedeutung, die diese Form der Auffüh-
rung für das Fortleben der attischen Tragödie auf der Bühne hatte.
Wenn aber Textbücher für die Aufführung von Einzelpartien klassi-
scher Tragödien im hellenistisch-römischen Ägypten nach Ausweis ver-
breitet waren wie Lesetexte mit den Ausgaben ganzer Stücke und An-
thologien, die ein rein literarisches Interesse an den Dramen verraten,
dann ist es sehr unwahrscheinlich, daß die Einwirkung der Bühnenpra-
xis auf die Überlieferung des Euripides-Textes mit der Tätigkeit der
alexandrinischen Philologen ein Ende fand und unser ins Mittelalter ge-
retteter Text der Dramen durch mancherlei Zwischenglieder allein auf
die kritische Gesamtausgabe des Aristophanes von Byzanz zurückgeht.
Nichts spricht nach dem oben geschilderten Befund dafür, daß sich die
Überlieferung eines reinen Lesetextes im 3. Jh. v. C. verselbständigt ha-
be und darum sog. Schauspielerinterpolationen, auf die bekanntlich
auch die Scholien wiederholt hinweisen, nur in der voralexandrinischen
Phase der Überlieferung in unseren Text geraten konnten. Auch aus
der Bühnenpraxis der hellenistisch-römischen Zeit konnten Einflüsse
auf den Text der Tragödien kommen, wenn Theaterexemplare beim
36 Das gilt z. B. auch für die Menander-Excerpte der Oxyrrhynchus-Papyri 409 + 2655
aus dem 2. Jh. n. C.
37 VgL vor allem Kokolakis o. Anm. 15.
 
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