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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 2. Abhandlung): Der Prolog der "Bacchen" und die antike Überlieferungsphase des Euripides-Textes: vorgetragen am 18. November 1980 — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47795#0051
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Der Prolog der ‘Bacchen’

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auf unbezweifelbare Wiederaufführungen von Tragödien vor 386 v. C.,
und damit auch kein Zeugnis für ihre mögliche Überarbeitung im Laufe
des 5. Jh. Phrynichos aber verstand, wie gesagt, die von ihm erläuterte
Stelle als Hinweis auf ein mehr oder weniger übliches Verfahren mit al-
ten Dramen. Das paßt nur in das 4. Jh. v. C., und man wird das Zitat,
wenn es sich denn um ein Komikerfragment handelt, nur der Mese oder
Nea, nicht aber der Archaia zuweisen. Für das 4. Jh. beleuchtet es die
Gefahren, denen der Text der alten Tragiker durch die 386 v. C. einge-
führte Praxis der Wiederaufführungen außer Konkurrenz ausgesetzt
war und denen die Maßnahme des Lykurg i. J. 330 steuern sollte. Über
die Wiederaufführungspraxis der späteren Zeit hingegen gibt das von
Phrynichos erhaltene Zeugnis so wenig Aufschluß wie über die Schick-
sale des Aischylos-Textes im 5. Jh. v. C. Dem Erklärer stand die Über-
arbeitung ganzer Dramen durch aufgesetzte Zutaten vor Augen, nicht
die isolierte Bearbeitung einzelner Partien, und es gibt keinen Grund zu
der Annahme, daß er den Text und seinen Zusammenhang nicht richtig
verstand. Das gilt unbeschadet der Möglichkeit, daß Phrynichos seine
Weisheit nicht aus den attischen Originalen, sondern aus grammatischer
Quelle bezog, Phrynichos also nur der Mittelsmann in der Überliefe-
rung der Erläuterung sein sollte.
Für die Interpolations- und Überarbeitungspraxis, die man im Zu-
sammenhang der hellenistisch-kaiserzeitlichen Konzert-, Ballett- oder
Rezitationsaufführung alter Tragödien vorauszusetzen hat, ergibt frei-
lich die besprochene Stelle nichts. Zur Unterscheidung „früher“ und
„später“ Interpolationen aus dem Theaterbetrieb ist man also auf die
Texte der Dramen verwiesen.
Deshalb soll im folgenden an einigen Einzelinterpretationen erprobt
werden, ob die Annahme, man müsse bei der Interpolation euripidei-
scher Dramen mit der Möglichkeit später Schauspielerinterpolation im
oben beschriebenen Sinn rechnen, zum besseren Verständnis des Tex-
tes beitragen kann. Für diesen Zweck bieten sich die ‘Phoinissen’ an.
Wie kaum ein anderes Drama stehen sie seit langem unter dem Ver-
dacht, tiefgreifender Bearbeitung ausgesetzt gewesen zu sein. Schon in
der Antike wunderte man sich über die Stoffülle dieser Tragödie, die
Partien enthält, welche mit der Handlung, so scheint es, nichts zu tun
haben. Friedrichs und Fraenkels23 eindringende Analysen, die viel
Unechtes dingfest gemacht zu haben schienen, erfuhren z. T. heftigen
23 W. H. Friedrich, Hermes 74, 1939, 265ff; E. Fraenkel, Zu den Phoinissen des Euripi-
des (S. Ber. bayr. Ak. 1963, 1).
 
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