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Albrecht Dihle
spätere Überlieferung, die darin mit Aischylos (42 Iff.) übereinstimmt,
erzählt vom Tod des Kapaneus am Elektra-Tor (Paus. 9,8,7).
Im Hinblick auf den Befund bei Euripides gilt es also festzuhalten,
daß keine der vier einschlägigen Partien - Mauerschau, Eteokles/Kre-
on-Dialog, Botenbericht, Katalog im Botenbericht - sich topographisch
widerspruchsfrei mit auch nur einer der anderen kombinieren läßt. Na-
türlich soll man sich hüten, die topographische Information in der dich-
terisch-dramatischen Wiedergabe einer Sagenhandlung allzu scharf zu
interpretieren8. Auch weiß man seit langem, daß Kampfschilderungen,
in denen es ja oft auf genaue Ortsangaben ankommt, nicht Euripides’
Stärke sind. Aber allen diesen Bedenken zum Trotz muß man doch
wohl anerkennen, daß die geschilderten Diskrepanzen über das Maß
des Erträglichen hinausgehen. Und wenn auch Euripides in der Lokali-
sierung und Benennung der sieben Stadttore nur auf eine Tradition zu-
rückgreifen konnte, die bereits gespalten und darum in sich wider-
sprüchlich war, so könnte man in der offenkundigen Umgehung dieser
Namen geradezu den Versuch erkennen, auch die damit verbundenen
Unklarheiten zu vermeiden. Was aber in dem uns erhaltenen Text an
topographischen Angaben vorkommt, ergibt insgesamt kein wider-
spruchsfreies Bild.
Jedenfalls sollte man nicht damit rechnen, daß Euripides so elemen-
tare Gegebenheiten der boiotischen Topographie wie die Lage der Dir-
ke westlich, die des Teumessos-Berges östlich bzw. nordöstllich der Ka-
dameia unbekannt oder gleichgültig gewesen sein soll. Den parallelen
Verlauf der Bäche Dirke und Ismenos, welche die Kadmeia einrahm-
ten, apostrophiert er in einem Chorlied ausdrücklich (822-827). Das
macht die Unklarheit in der Lokalisierung der militärischen Ereignisse
während der Handlung des Stückes nur noch erklärungsbedürftiger.
Klarheit in topographischer Hinsicht läßt sich nur erzielen, wenn man
8 Wilamowitz (aaO. 230ff.) hat sehr überzeugend dargelegt, wie die Tragiker einerseits
einer „poetischen“ Topographie verpflichtet bleiben, die auf das Alte Epos zurück-
geht und für welche die Verhältnisse im zeitgenössischen Theben keine Bedeutung
haben. Andererseits läßt sich vor dem athenischen Publikum des 5. Jh. v. C. nicht oh-
ne Rücksicht auf die realen Verhältnisse über Lage und Größe existierender griechi-
scher Städte reden. In welchem Umfang die Dichter jeweils eine realistische Einfär-
bung durch verifizierbare Toponyme vornehmen, hängt ganz von den poetisch-dra-
matischen Notwendigkeiten ab. Doch fehlt dieses realistische Element nie. Speziell
für Theben kann man etwa mit Wilamowitz auf den Prolog des sophokleischen ‘König
Oedipus’ mit seinen vielen Ortsangaben oder auch auf die ‘Bacchen’ des Euripides
verweisen.
Albrecht Dihle
spätere Überlieferung, die darin mit Aischylos (42 Iff.) übereinstimmt,
erzählt vom Tod des Kapaneus am Elektra-Tor (Paus. 9,8,7).
Im Hinblick auf den Befund bei Euripides gilt es also festzuhalten,
daß keine der vier einschlägigen Partien - Mauerschau, Eteokles/Kre-
on-Dialog, Botenbericht, Katalog im Botenbericht - sich topographisch
widerspruchsfrei mit auch nur einer der anderen kombinieren läßt. Na-
türlich soll man sich hüten, die topographische Information in der dich-
terisch-dramatischen Wiedergabe einer Sagenhandlung allzu scharf zu
interpretieren8. Auch weiß man seit langem, daß Kampfschilderungen,
in denen es ja oft auf genaue Ortsangaben ankommt, nicht Euripides’
Stärke sind. Aber allen diesen Bedenken zum Trotz muß man doch
wohl anerkennen, daß die geschilderten Diskrepanzen über das Maß
des Erträglichen hinausgehen. Und wenn auch Euripides in der Lokali-
sierung und Benennung der sieben Stadttore nur auf eine Tradition zu-
rückgreifen konnte, die bereits gespalten und darum in sich wider-
sprüchlich war, so könnte man in der offenkundigen Umgehung dieser
Namen geradezu den Versuch erkennen, auch die damit verbundenen
Unklarheiten zu vermeiden. Was aber in dem uns erhaltenen Text an
topographischen Angaben vorkommt, ergibt insgesamt kein wider-
spruchsfreies Bild.
Jedenfalls sollte man nicht damit rechnen, daß Euripides so elemen-
tare Gegebenheiten der boiotischen Topographie wie die Lage der Dir-
ke westlich, die des Teumessos-Berges östlich bzw. nordöstllich der Ka-
dameia unbekannt oder gleichgültig gewesen sein soll. Den parallelen
Verlauf der Bäche Dirke und Ismenos, welche die Kadmeia einrahm-
ten, apostrophiert er in einem Chorlied ausdrücklich (822-827). Das
macht die Unklarheit in der Lokalisierung der militärischen Ereignisse
während der Handlung des Stückes nur noch erklärungsbedürftiger.
Klarheit in topographischer Hinsicht läßt sich nur erzielen, wenn man
8 Wilamowitz (aaO. 230ff.) hat sehr überzeugend dargelegt, wie die Tragiker einerseits
einer „poetischen“ Topographie verpflichtet bleiben, die auf das Alte Epos zurück-
geht und für welche die Verhältnisse im zeitgenössischen Theben keine Bedeutung
haben. Andererseits läßt sich vor dem athenischen Publikum des 5. Jh. v. C. nicht oh-
ne Rücksicht auf die realen Verhältnisse über Lage und Größe existierender griechi-
scher Städte reden. In welchem Umfang die Dichter jeweils eine realistische Einfär-
bung durch verifizierbare Toponyme vornehmen, hängt ganz von den poetisch-dra-
matischen Notwendigkeiten ab. Doch fehlt dieses realistische Element nie. Speziell
für Theben kann man etwa mit Wilamowitz auf den Prolog des sophokleischen ‘König
Oedipus’ mit seinen vielen Ortsangaben oder auch auf die ‘Bacchen’ des Euripides
verweisen.