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Albrecht Dihle
hört haben, weil er zu dieser Zeit noch in einem Raum des Palastes ein-
geschlossen war. Zu rechtfertigen ist also die Bezugnahme der Verse
1612 ff. nur unter der Voraussetzung, daß der „Unverstand“ des Oedipus
als bekanntes Thema zu gelten hat, weshalb er dazu Stellung nimmt.
Die Bezugnahme der Verse 1612ff. auf 763f. und der ausführliche
Bericht des Oedipus 1595ff., der mit seinen Informationen die Prolog-
rede verdoppelt, machen deutlich, daß es dem Verfasser der Szene um
eine möglichst genaue und vollständige Unterrichtung des Publikums
über die für die ‘Phoinissen' des Euripides spezifische Fassung der Oedi-
pus-Sage gegangen ist. Nun ist diese Fassung in der Tat nicht unkompli-
ziert und weicht in mehr als einem Detail von der Tradition ab. Aber
Euripides hat im Prolog und in den folgenden Teilen des Dramas seine
Version mit aller wünschenswerten Deutlichkeit expliziert. Am Ende
der Tragödie besteht für den, der das Drama von Anfang an gesehen
hat, nicht das geringste Bedürfnis nach einer solchen, auf Vollständig-
keit angelegten Unterrichtung. Dieses Verfahren ist aber verständlich,
wenn die Partie zu einer Szene gehört, die als selbständige Einheit ei-
gener, neuer Thematik, aber als Teil oder Fortsetzung der euripidei-
schen ‘Phoinissen’ verstanden werden soll. Hier müssen die durch das
euripideische Drama geschaffenen Voraussetzungen noch einmal ge-
klärt werden.
Die lange Sprechszene, die den Kern des Tragödienschlußes in seiner
heutigen Form ausmacht (1582-1709), zeichnet sich durch einen be-
sonders schematischen Aufbau aus. Die verschiedenen neuen Themen,
für die es keinen rechten Anknüpfungspunkt in der mit dem zweiten
Botenbericht zu Ende gegangenen Tragödienhandlung gibt, werden
gleichsam systematisch abgehandelt.
Der Ankündigung Kreons, Oedipus außer Landes zu verweisen, folgt
eine ausführliche, mit Klagen untermischte und einen vollständigen auto-
biographischen Bericht enthaltende Erwiderung des Oedipus, die dar-
in gipfelt, daß er um seiner Würde willen sich nicht auf das Flehen ver-
legen will. Kreon antwortet mit einer Wiederholung des Ausweisungs-
befehls, gibt Anweisung zur Bestattung des Eteokles, verkündet das
Bestattungsverbot für Polyneikes und befiehlt Antigone, ins Haus zu
gehen und die Hochzeit mit Haimon zu erwarten. Antigone ergreift
daraufhin das Wort, teilt zunächst in wenigen Versen den Jammer des
Vaters und wendet sich dann in zwei knappen Fragen, die Ausweisung
des Oedipus und die Polyneikes verweigerte Bestattung betreffend, vor-
wurfsvoll an Kreon. Dieser antwortet nur auf den zweiten Vorwurf, so
daß das Thema der Ausweisung gar nicht mehr zwischen den beiden zur
Albrecht Dihle
hört haben, weil er zu dieser Zeit noch in einem Raum des Palastes ein-
geschlossen war. Zu rechtfertigen ist also die Bezugnahme der Verse
1612 ff. nur unter der Voraussetzung, daß der „Unverstand“ des Oedipus
als bekanntes Thema zu gelten hat, weshalb er dazu Stellung nimmt.
Die Bezugnahme der Verse 1612ff. auf 763f. und der ausführliche
Bericht des Oedipus 1595ff., der mit seinen Informationen die Prolog-
rede verdoppelt, machen deutlich, daß es dem Verfasser der Szene um
eine möglichst genaue und vollständige Unterrichtung des Publikums
über die für die ‘Phoinissen' des Euripides spezifische Fassung der Oedi-
pus-Sage gegangen ist. Nun ist diese Fassung in der Tat nicht unkompli-
ziert und weicht in mehr als einem Detail von der Tradition ab. Aber
Euripides hat im Prolog und in den folgenden Teilen des Dramas seine
Version mit aller wünschenswerten Deutlichkeit expliziert. Am Ende
der Tragödie besteht für den, der das Drama von Anfang an gesehen
hat, nicht das geringste Bedürfnis nach einer solchen, auf Vollständig-
keit angelegten Unterrichtung. Dieses Verfahren ist aber verständlich,
wenn die Partie zu einer Szene gehört, die als selbständige Einheit ei-
gener, neuer Thematik, aber als Teil oder Fortsetzung der euripidei-
schen ‘Phoinissen’ verstanden werden soll. Hier müssen die durch das
euripideische Drama geschaffenen Voraussetzungen noch einmal ge-
klärt werden.
Die lange Sprechszene, die den Kern des Tragödienschlußes in seiner
heutigen Form ausmacht (1582-1709), zeichnet sich durch einen be-
sonders schematischen Aufbau aus. Die verschiedenen neuen Themen,
für die es keinen rechten Anknüpfungspunkt in der mit dem zweiten
Botenbericht zu Ende gegangenen Tragödienhandlung gibt, werden
gleichsam systematisch abgehandelt.
Der Ankündigung Kreons, Oedipus außer Landes zu verweisen, folgt
eine ausführliche, mit Klagen untermischte und einen vollständigen auto-
biographischen Bericht enthaltende Erwiderung des Oedipus, die dar-
in gipfelt, daß er um seiner Würde willen sich nicht auf das Flehen ver-
legen will. Kreon antwortet mit einer Wiederholung des Ausweisungs-
befehls, gibt Anweisung zur Bestattung des Eteokles, verkündet das
Bestattungsverbot für Polyneikes und befiehlt Antigone, ins Haus zu
gehen und die Hochzeit mit Haimon zu erwarten. Antigone ergreift
daraufhin das Wort, teilt zunächst in wenigen Versen den Jammer des
Vaters und wendet sich dann in zwei knappen Fragen, die Ausweisung
des Oedipus und die Polyneikes verweigerte Bestattung betreffend, vor-
wurfsvoll an Kreon. Dieser antwortet nur auf den zweiten Vorwurf, so
daß das Thema der Ausweisung gar nicht mehr zwischen den beiden zur