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Dihle, Albrecht; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1981, 2. Abhandlung): Der Prolog der "Bacchen" und die antike Überlieferungsphase des Euripides-Textes: vorgetragen am 18. November 1980 — Heidelberg: Winter, 1981

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https://doi.org/10.11588/diglit.47795#0105
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Der Prolog der ‘Bacchen’

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einer isolierten Szene keine Rücksicht zu nehmen, indem es den Cha-
rakterwandel ausdrücklich begründete.
Zur Annahme einer isolierten Aufführung und nachträglichen Ent-
stehung der Kreon/Antigone-Szene paßt also der Wortlaut des Verses
1677. Die Benennung des Schwurgegenstandes, den man in die Hand
nimmt oder berührt, kann mehrfach, muß aber eindeutig sein, handelt
es sich doch um einen sakralen Rechtsakt. Die Verdoppelung (cüör|Qog,
^icpog) zeigt mit dem Element der Unbestimmtheit, das sie in die For-
mulierung hineinbringt, daß es sich um die nicht eben gelungene Repro-
duktion eines literarischen Topos handelt, für den eben Beispiele ange-
führt wurden. Eine Beziehung zur lebendigen Schwurpraxis aber hat
der Verfasser dieses Verses nicht im Auge gehabt. Gewiß wird man sa-
gen können, daß die gerade bei einer solchen Schwurformel unange-
messene Redundanz des Ausdrucks dem stichomythischen Zwang zu-
zuschreiben sei. Indessen ist das ein schwacher Einwand, weil die Auf-
gabe, hier den Trimeter durch eine Schwurformel mit einem eindeutig
bezeichneten Gegenstand zu füllen, wohl ohne große Schwierigkeit be-
wältigt werden könnte. Schon die Form iotco oiötiqoüv öqkiöv t’ Epoi
^[cpog wäre wohl besser.
Die Antwort des Oedipus auf die Frage der Antigone, wer ihn, den
Blinden, in der Verbannung denn versorgen werde (1686), ist wohl
doppeldeutig gemeint (1687): jtegwv ötiou poi uoipot KEioopai geöqj.
Man kann hier an die täglichen oder nächtlichen Raststätten des
Umherirrenden denken, wo er der Betreuung besonders bedarf, ebenso
aber an sein letztes Zusammenbrechen und Sterben. Wenn aber das
letzte mitgemeint ist, enthält das Wort poipcx einen versteckten Hinweis
auf seine letzte Ruhestätte am Kolonos in Attika, die er nach dem
Zeugnis der Verse 1703ff. bereits aus dem Orakel kennt. Daß er dieses
Wissen 1687 seiner Tochter verschweigt, liegt wohl daran, daß er sie in
diesem Augenblick noch glaubt zum Bleiben überreden zu können. Die
Mitteilung, er wisse, daß er in Attika eine letzte Ruhestätte finden wer-
de, müßte Antigone in ihrem Entschluß bestärken, den Vater zu beglei-
ten.
Das letzte Argument, mit dem Oedipus die Tochter von ihrer Absicht
abzubringen versucht, ist der Verweis auf das Decorum: Es gehört sich
nicht, daß ein Mädchen aus gutem Haus mit einem blinden Vater hei-
matlos durch das Land zieht (1691): «iG/pd cpuyt) thr/aroi güv ruqAö)
jiaipi. Der Satz ist wie eine allgemein geltende Maxime formuliert und
gewinnt dadurch sein argumentatives Gewicht. Die darin zum Aus-
druck kommenden Wertvorstellungen gehören ganz in den Rahmen ei-
 
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